In den Waeldern des Nordens - V3
ihn neugierig an und blieb neben Canim stehen, um ihn arbeiten zu sehen. Mit einer regelmäßig wiederkehrenden wippenden Bewegung wusch er Sand in einer großen Pfanne, und wie sie sahen, gab er ihr einen gewandten Schwung, daß sich das gelbe Gold in einem breiten Streifen quer über den Boden der Pfanne legte.
»Dieser Fluß ist sehr reich«, erzählte ihr Canim im Weitergehen. »Eines schönen Tages werde ich schon einen ebensolchen Fluß finden, und dann werde ich ein mächtiger Mann.«
Hütten und Menschen wurden zahlreicher, bis sie an eine Stelle kamen, wo der Hauptarm des Flusses vor ihnen lag. Es war ein Schauplatz großer Verwüstung. Überall war die Erde umgepflügt und zerrissen, wie nach einer Titanenschlacht. Wo sich nicht aufgeworfene Kieshügel erhoben, gähnten tiefe Löcher; Risse und Spalten, wo die dicke Erdschicht bis zur Felsunterlage abgeschält war. Der Fluß strömte nicht in seinem Bette, das Wasser war abgedämmt und abgeleitet, sickerte in Senkgruben und tiefgelegene Stellen und wurde, durch riesige Wasserräder gehoben, tausend- und abertausendmal ausgenützt. Die Hügel waren ihrer Bäume beraubt, und ihre bloßgelegten Flanken waren von großen Holzgleitbahnen und Versuchsbohrungen angebohrt und durchlöchert. Und über allem breitete sich wie ein ungeheures Ameisenheer eine Schar von Männern aus – von Männern, die zu den selbstgegrabenen Löchern hinein- und herauskrabbelten und schwitzend an den großen Sandhaufen arbeiteten, die sie in beständiger Bewegung hielten. Männer, so weit das Auge reichte, bis zu den Hängen der Hügel, Männer, die das Antlitz der Natur zerfurchten und zerrissen. Li Wan war entsetzt über diese ungeheure Umwälzung. »Wahrhaftig, diese Männer sind verrückt«, sagte sie zu Canim.
»Was für ein Wunder! Das Gold, nach dem sie graben, ist etwas Großes«, erwiderte er. »Es ist das Größte in der Welt.«
Stundenlang wanderten sie durch dieses Chaos der Habgier, Canim eifrig und aufmerksam, Li Wan schwach und teilnahmslos. Sie wußte, daß sie am Rande der Enthüllung gewesen war, und fühlte, daß sie sich immer noch am Rande der Enthüllung befand, aber die Nervenerregung, die sie durchgemacht, hatte sie ermüdet, und sie wartete passiv auf das Ereignis, das eintreten mußte, ohne daß sie wußte, was es war. Überallher erfaßten ihre Sinne zahllose Eindrücke, und jeder einzelne wurde ihr zu einem wirren Anreiz ihrer erschöpften Einbildungskraft. Irgendwo aus ihrem Innern kam die Antwort auf die sie umgebenden Dinge, vergessene und ungeahnte Zusammenhänge wurden erneuert, und sie wurde dessen in einer schlaffen, gleichgültigen Weise gewahr, ihre Seele war verwirrt, aber sie war den geistigen Anforderungen nicht gewachsen, um die Dinge deuten und verstehen zu können. So trottete sie müde weiter hinter ihrem Herrn her und begnügte sich mit dem Bewußtsein, daß das, was sie erwartete, irgendwo und irgendwie einmal geschehen müsse.
Nachdem der Strom die wahnsinnige Sklaverei der Menschen erduldet hatte, kehrte er schließlich zu seiner alten Art zurück, jedoch völlig beschmutzt und getrübt von seiner Fron, und schlängelte sich träge zwischen den Niederungen und Wäldern dahin, zu denen sich das Tal in der Nähe der Mündung weitete. Hier führte der Boden kein Gold mehr, und die Männer hatten nicht Lust, sich weiterlocken zu lassen. Und hier war es, wo Li Wan, als sie stehenblieb, um Olo mit ihrem Stock anzutreiben, den weichen Silberklang eines Frauenlachens hörte.
Vor einer Hütte saß eine Frau mit schöner Haut und rosig wie ein Kind und lachte mit Grübchen in den Wangen über die Worte einer anderen Frau in der Tür. Aber die sitzende Frau schüttelte die schwere Masse ihres schwarzen, nassen Haares, das unter der warmen Liebkosung der Sonne seine Feuchtigkeit verströmte.
Einen Augenblick blieb Li Wan wie angewurzelt stehen. Da sah sie ein blendendes Aufblitzen und fühlte ein Schnappen, als ob etwas nachgab. Darauf verschwanden die Frau vor der Hütte und die Hütte selbst, die hohen Fichten und der gezackte Horizont, und Li Wan sah eine andere Frau im Scheine einer andern Sonne, die die schwere Masse ihres schwarzen Haares bürstete, und beim Bürsten sang. Und Li Wan hörte die Worte des Liedes und verstand sie und war wieder Kind. Sie hatte eine Erscheinung, in der all die verwirrenden Träume verschmolzen und eins wurden, und Gestalten und Schatten nahmen ihren gewohnten Platz ein, und alles wurde klar und deutlich
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