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In den Waeldern des Nordens - V3

Titel: In den Waeldern des Nordens - V3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack London
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Ehre gemacht haben würde, landete Fräulein Giddings hinter dem Tisch. Aber Frau van Wyck wich nicht. Sie bemerkte, daß der Eindringling sich in großer Aufregung befand, und warf einen raschen Blick nach rückwärts, um sich zu vergewissern, daß der Weg zu ihrem Bette frei war, unter dessen Kissen der große Coltrevolver lag.
    »Sei gegrüßt, o Frau mit dem wunderbaren Haar«, sagte Li Wan.
    Aber sie sagte es in ihrer eigenen Sprache, die nur an einem ganz kleinen Fleckchen der Erde gesprochen wurde, und die beiden Frauen verstanden sie nicht.
    »Soll ich Hilfe holen?« fragte Fräulein Giddings zitternd.
    »Das arme Geschöpf ist harmlos, glaube ich«, antwortete Frau van Wyck. »Und sieh nur ihre Fellkleider, wie zerlumpt und zerschlissen sie sind. Sie sind sicher einzig in ihrer Art. Ich kaufe sie mir für meine Sammlung. Hol bitte meinen Beutel mit Goldstaub, Myrtle, und die Waagschale.«
    Li Wan sah, wie die Lippen die Worte formten, aber die Worte waren unverständlich, und in diesem Augenblick banger Erwartung erkannte sie erst, daß es kein Verständigungsmittel für sie gab. Verzweifelt über ihre Stummheit, brach sie mit weit ausgebreiteten Armen aus: »O meine Schwester!« Die Tränen rannen ihr über die Wangen herab, als sie sich ihnen sehnsüchtig zuwandte, und ihre brechende Stimme verriet den Kummer, dem sie keine Worte zu leihen vermochte. Aber Fräulein Giddings zitterte, und selbst Frau van Wyck war verwirrt.
    »Ich möchte leben, wie ihr lebt. Eure Wege sind meine Wege, und unsere Wege sollen eins sein. Mein Gatte ist Canim, das Kanu, und er ist groß und seltsam, und ich fürchte mich. Sein Weg ist die ganze Welt und endet nie, und ich bin müde. Meine Mutter war wie du, und ihr Haar war wie deines und ihre Augen wie deine. Und damals war das Leben freundlich für mich, und die Sonne war warm.«
    Demütig kniete sie und beugte das Haupt zu Frau van Wycks Füßen. Aber Frau van Wyck zog, erschrocken über diese Leidenschaftlichkeit, ihre Füße an sich.
    Li Wan erhob sich, nach Worten ringend. Ihre stummen Lippen vermochten nicht, das überwältigende verwandtschaftliche Gefühl auszusprechen.
    »Handeln? Du handeln?« fragte Frau van Wyck, indem sie nach Art überlegener Menschen gebrochen zu sprechen begann.
    Sie berührte Li Wans zerlumpte Felle, um ihren Wunsch anzudeuten, und schüttete für mehrere Hundert Dollar Goldstaub in die Waagschale. Sie rührte in dem Staub und ließ ihn verführerisch durch ihre Finger gleiten.
    Aber Li Wan sah nur diese milchweißen, so wohlgeformten Finger, die sich zart zu den rosigen, juwelengleichen Nägeln rundeten. Sie legte ihre eigene Hand daneben, diese verarbeitete, schwielige Hand, und weinte.
    Frau van Wyck mißverstand sie. »Gold«, ermunterte sie, »gutes Gold! Du handeln? Du tauschen?« Und sie legte wieder ihre Hand auf Li Wans Fellkleid. »Wieviel? Du verkaufen? Wieviel?« fuhr sie fort und ließ die Hand gegen den Strich der Felle gleiten, um sich zu vergewissern, daß die Säume mit Sehnenfaden genäht waren.
    Aber Li Wan war ebenso taub wie stumm, und die Worte der Frau bedeuteten ihr nichts. Verzweiflung über ihren Mißerfolg ergriff sie. Wie sollte sie diesen Frauen verständlich machen, daß sie eine der Ihren war? Sie wußte, daß sie vom selben Stamme, daß sie Blutschwestern waren. Ihre Augen irrten durch das Innere der Hütte und blieben an den weichen Vorhängen, die rings an den Wänden hingen, an den weiblichen Kleidungsstücken, dem ovalen Spiegel und den eleganten Toilettegegenständen haften. Und diese Dinge beunruhigten sie, denn sie hatte ähnliche früher gesehen. Und als sie so darauf blickte, formten ihre Lippen unwillkürlich Laute, die auszusprechen sich ihre Kehle noch zitternd widersetzte. Dann überkam sie ein Gedanke, und sie versuchte sich zu fassen. Sie mußte ruhig sein. Sie mußte sich beherrschen, denn diesmal durfte sie sich keinem Mißverständnis aussetzen, sonst... Und sie rang mit einer Flut unterdrückter Tränen und beruhigte sich.
    Sie legte die Hand auf den Tisch, »Tisch«, sagte sie klar und deutlich. »Tisch«, wiederholte sie.
    Sie blickte Frau van Wyck an, die zustimmend nickte.
    Li Wan frohlockte, beherrschte sich aber mit Anspannung aller Willenskraft und blieb ruhig. »Ofen«, fuhr sie fort. »Ofen.«
    Und jedesmal, wenn Frau van Wyck nickte, stieg Li Wans Aufregung. Stammelnd und zögernd, dann wieder in fieberhafter Hast, je nachdem die vergessenen Ausdrücke schnell oder langsam wieder

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