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In den Waeldern des Nordens - V3

Titel: In den Waeldern des Nordens - V3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack London
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folgte seinem Beispiel, und die Hunde streckten sich keuchend aus. Zu ihren Füßen rauschte die eisige Flut der Berge, aber sie war schmutzig und mißfarben, als ob jemand die Erde aufgewühlt und das Wasser dadurch verunreinigt hätte.
    »Woher kommt das?« fragte Li Wan.
    »Weil die Weißen in der Erde arbeiten. Hörst du?«
    Er hob die Hand und sie hörten den Klang von Hacke und Spaten und den Ton menschlicher Stimmen. »Sie sind verrückt nach Gold und arbeiten unablässig, um es zu finden. Gold? Das ist etwas Gelbes, wird in der Erde gefunden und gilt als sehr wertvoll. Es dient auch als Wertmesser.«
    Aber Li Wans umherschweifende Blicke hatten ihre Aufmerksamkeit von ihm abgelenkt. Einige Schritte weiter abwärts, halb verborgen hinter einer Gruppe junger Tannen, erhoben sich die Querbalken und das vorspringende Dach einer Hütte. Ein Schauer durchrieselte sie, und all ihre Traumgesichte erhoben sich und regten sich unruhig.
    »Canim«, flüsterte sie in Angst und Qual, »Canim, was ist das?«
    »Das Zelt des weißen Mannes, in dem er ißt und schläft.«
    Sie betrachtete es schweigend, übersah seine Vorzüge mit einem Blick und zitterte wieder bei den unerklärlichen Gefühlen, die es in ihr wachrief.
    »Es muß sehr warm bei Frostwetter sein«, sagte sie laut, obgleich ihr war, als ob ihre Lippen fremdartige Laute bilden müßten.
    Sie fühlte den Drang, sie zu sprechen, tat es aber nicht, und im nächsten Augenblick sagte Canim: »Es wird Hütte genannt.«
    Ihr Herz sprang heftig. Das waren die Laute! Eben das! In plötzlichem Erschrecken sah sie sich um. Wie konnte sie dieses seltsame Wort kennen, ehe sie es noch gehört hatte? Wie konnte das sein? Und dann wußte sie plötzlich, zwischen Furcht und Entsetzen schwankend, daß zum ersten Male in ihrem Leben Sinn und Bedeutung in dem gelegen hatte, was ihre Träume ihr zugeflüstert hatten.
    »Hütte«, wiederholte sie bei sich. »Hütte – Hütte.« Ein Gewirr undeutlicher Traumbilder wirbelte um sie auf, bis ihr der Kopf schwirrte und das Herz zu springen drohte. Schatten, Ungewisse Gestalten und unverständliche Gedankenverbindungen flatterten und wirbelten durcheinander, und vergebens suchte sie sie in ihr Bewußtsein zu zwingen und festzuhalten. Denn sie fühlte, daß hier, in diesem Chaos von Erinnerungen, der Schlüssel des Geheimnisses lag; wenn sie ihn nur fassen und halten konnte, so mußte alles klar und verständlich werden.
    O Canim! O Pow-Wah-Kaan! O Schatten und Phantome, was bedeutete das alles?
    Sprachlos und zitternd wandte sie sich zu Canim. Sie war krank und halb ohnmächtig und konnte nur den berauschenden Tönen lauschen, die in wundersamem Rhythmus aus der Hütte drangen. In ihrer Ekstase schien es ihr, als ob alles sich endlich klären müßte. – Jetzt! Jetzt! dachte sie. Plötzlich wurden ihre Augen feuchte, und Tränen rannen über ihre Wangen herab. Das Geheimnis erschloß sich, aber ihre Schwäche übermannte sie. Wenn sie sich nur noch lange genug aufrecht halten konnte! Wenn nur... Aber die Landschaft senkte und hob sich, und die Hügel schwankten am Himmel auf und nieder, als sie aufsprang und rief: »Väterchen! Väterchen!« Dann schwankte die Sonne, Finsternis schlug sie, und sie fiel kraftlos zwischen den Felsblöcken vornüber.
    Canim überzeugte sich, daß ihr Hals nicht durch das schwere Bündel gebrochen war, brummte zufrieden und bespritzte sie mit Wasser aus dem Flusse. Langsam kam sie unter erstickendem Schluchzen zu sich und setzte sich auf.
    »Es ist nicht gut, wenn die Sonne einem so heiß auf den Kopf scheint«, meinte er.
    Und sie antwortete: »Nein, es ist nicht gut, und die harte Last drückte mich schwer.«
    »Wir werden unser Lager aufschlagen, so daß du lange schlafen kannst und wieder zu Kräften kommst«, sagte er freundlich. »Und wenn wir jetzt gehen, werden wir um so eher zur Ruhe kommen.«
    Li Wan sagte nichts, gehorsam erhob sie sich, wenn auch schwankend, und jagte die Hunde auf. Mechanisch folgte sie seinen Schritten, und als sie an der Hütte vorbeikam, wagte sie kaum zu atmen. Aber kein Ton drang heraus, obgleich die Tür offenstand und Rauch dem Schornstein aus dünnem Eisenblech entstieg.
    An der Wendung des Flusses stießen sie auf einen Mann. Seine Haut war weiß, und er hatte blaue Augen, und für einen Augenblick war es Li Wan, als sähe sie den andern Mann im Schnee. Aber sie sah ihn nur verschwommen, denn sie war schwach und müde von allem, was geschehen war. Dennoch blickte sie

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