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In den W?ldern tiefer Nacht

In den W?ldern tiefer Nacht

Titel: In den W?ldern tiefer Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelia Atwater-Rhodes
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Ich hatte keine genaue Vorstellung mehr von der Person, die ich gewesen war, aber ich wußte noch, was eine Stadt und ein Haus waren. Und alles, was ich um mich herum sah, paßte irgendwie nicht zusammen.
      Athers Haus stand weit von der Straße entfernt am Waldrand. Nach einer Weile wurde mir bewußt, was mich daran störte: Das Haus war schwarz gestrichen und hatte weiße Fensterläden, genau wie das daneben. Ich hatte das Gefühl, als sei alles umgekehrt, wie bei den schwarzen Messen, von denen man mir erzählt hatte, in denen die Ausgeburten des Teufels die Gebete rückwärts aufsagten. Dies hier war dasselbe. Vollkommen falsch.
      »Wo sind wir?« fragte ich endlich.
      »Dieser Ort existiert nicht wirklich«, antwortete Ather. Ich verstand nicht und runzelte die Stirn. Sie seufzte vor Ungeduld über meine Unwissenheit. »Diese Stadt heißt Chaos. Sie ist so massiv wie die Stadt, in der du aufgewachsen bist, aber sie gehört einzig und allein uns, und niemand außerhalb weiß, daß es sie gibt. Hör endlich auf, über Dinge nachzudenken, die nicht wichtig sind, Risika. Du mußt trinken.«
      Du mußt trinken. Ich schloß für einen Moment die Augen, um das brennende Gefühl wegzublinzeln. Ich schüttelte den Kopf, aber der Schmerz wollte nicht nachlassen. Würde ich etwa töten müssen, um ihn zu stillen? Ich wollte nicht töten. Aber ich wollte auch nicht sterben, und dennoch wollte ich auch nicht töten... Was geschah wohl mit den Verdammten, wenn sie starben?
     
      »Nein«, sagte ich erneut, obwohl es dieses Mal weder in meinen Ohren noch in meinem Geist etwas bedeutete. Denken war einfach unmöglich. Ich wußte nur, daß ich nicht töten wollte, aber ich konnte an nichts anderes als an Blut denken... rotes Blut auf schwarzen Blüten und Dornen und Zähne wie die Fänge einer Giftschlange...
      Der Schmerz war sehr stark, und meine Gedanken wirbelten durcheinander. Ather klang so sicher, so ruhig.
      »Komm, mein Kind«, sagte sie beruhigend. »Du kannst von einer der Hexen trinken, die auf den Tod warten, wenn das dein Gewissen beruhigt. Sie sind sowieso zum Tode und zu Schlimmerem verurteilt.«
      Ein Schauder durchfuhr meinen Körper, und der Schmerz in meinen Augen und meinem Kopf wurde schlimmer. Meine Hände waren taub.
      Ich weiß nicht mehr, ob ich genickt habe. Ich nehme es an.
      Im nächsten Moment war ich mit zwei der angeklagten Hexen in einer kalten, dunklen Zelle eingesperrt. Ich weiß nicht mehr genau, wie ich dort hingekommen bin, aber ein Teil von mir wußte, daß Ather uns beide mit ihren Gedanken bewegt hatte. Sie erschien einen Augenblick später neben mir.
      Ein dumpfer Rhythmus erfüllte den Raum, und es dauerte einen Moment, bis ich begriff, daß es der Herzschlag der beiden Frauen war, die mit uns in der Zelle saßen. Eine von ihnen schrie auf, als sie uns sah, die andere bekreuzigte sich. Von ihnen ging ein scharfer Angstgeruch aus, und obwohl ich ihn noch nie zuvor gerochen hatte, erkannte ich ihn wie ein Wolf.
      Die angeklagten Hexen wichen vor uns zurück, eine betete dabei das Vaterunser, die andere schrie unaufhörlich. Aber die Zelle war zu klein, als daß sie uns entkommen konnten. Ich hörte das Gebet kaum.
      Ich war mir nur ihres Herzschlags und des Pulses in ihren Handgelenken und Hälsen bewußt. Ich hörte nichts anderes, sah nichts anderes. Ich sah wie durch einen roten Nebel, und in meinem Kopf drehte sich alles.
      Trinke reichlich. Ich erkannte Athers Stimme in meinem Geist. Sie lächelte mir zu, und ihre Fänge blitzten auf. Ich strich abwesend mit meiner Zunge über meine Zähne und bemerkte, daß sie genauso waren – zu scharf und zu lang, sie gehörten nicht in einen menschlichen Mund. Ich spürte, wie ihre Spitzen gegen meine Unterlippe drückten.
     
      Ather ging auf die immer noch schreiende Frau zu, die plötzlich still und schlaff wurde, als wäre sie eingeschlafen. Ather bog ihren Kopf zurück und legte ihren Hals frei. Athers rasiermesserscharfe Zähne bohrten sich durch die Haut der Frau, und der Geruch von Blut erfüllte den Raum.
      Da verlor ich plötzlich jedes Gefühl für Sünde und Mord.
      Ich verlor alles, was einst Rachel gewesen war. Ich wandte mich zu der anderen Frau, deren Gebet in ein Stammeln übergegangen war. Ich trank.
     
 
      Ich schmeckte ihr ganzes Leben, während es in mich floß. Athers Blut war kühl gewesen und hatte nach Unsterblichkeit geschmeckt. Dieses menschliche Blut war dick und heiß, es kochte

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