In den W?ldern tiefer Nacht
verwoben mit dem primitiven, gedankenlosen Jagen des wilden Tieres.
Aber ich habe mich völlig unter Kontrolle, und ich werde diesen Menschen leben lassen, damit er Aubrey, den er noch mehr fürchtet als mich, die Neuigkeiten überbringen kann. Er ist der Mann mit den schlechten Nachrichten, und Aubrey mag keine schlechten Nachrichten.
Ich wehre mich dagegen, mich Aubrey zu unterwerfen, aber nur, weil Vampire sich niemals beherrschen lassen. Ich habe ebensoviel Angst vor Aubrey wie dieser Mensch, vielleicht sogar noch mehr, weil ich ganz genau weiß, wer Aubrey ist und zu was er fähig ist.
Ich bin unruhig. Trotz der aufgehenden Sonne habe ich Lust, etwas zu unternehmen.
Nachdem ich mich rasch versichert habe, daß kein Blut von der Jagd der letzten Nacht an mir klebt, verlasse ich das Haus. Ich gehe zu Fuß, teils, weil ich in Concord bleiben werde und daher keinen weiten Weg vor mir habe, aber vor allem, weil ich einen sehr großen Bewegungsdrang verspüre.
Ab und zu besuche ich Cafés wie das Ambrosia, die den Bedürfnissen meiner Art gerecht werden. Aber immer häufiger werde ich zu einem Schatten der menschlichen Welt. Das Leben der Menschen, das ihnen selbst so vielschichtig erscheint, wirkt aus der Perspektive von dreihundert Jahren ziemlich einfach.
Das Café hat gerade aufgemacht, als ich durch die Tür schlüpfe.
Die Bedienung ist natürlich menschlich. Das Mädchen heißt Alexa und hat fast den ganzen Sommer über hier gearbeitet.
»Morgen, Elizabeth«, begrüßt sie mich, und ich lächele ihr zu. Ich komme oft morgens hierher. Ich habe ihr natürlich nicht gesagt, wie ich wirklich heiße. Ich erlaube mir nicht, zu enge Beziehungen zu Menschen zu haben. Sie bemerken meist irgendwann, daß ich nicht älter werde.
Ich bestelle einen Kaffee, nicht weil ich das Koffein brauche oder den Geschmack mag, sondern weil man angestarrt wird, wenn man in einem Café sitzt, ohne etwas zu trinken.
Ein paar Minuten später beginnen die Leute hereinzuströmen, die vor der Arbeit vorbeischauen. Etwa eine halbe Stunde lang ist das Café voll, und ich sitze schweigend in einer Ecke und beobachte die Menschen um mich herum.
Obwohl ich mich von der menschlichen Gesellschaft distanziert habe, sehe ich ihnen gerne dabei zu, wie sie ihren Geschäften nachgehen.
Die Rektorin der Schule um die Ecke kommt hereingeeilt, schon jetzt verspätet, in einem streng geschnittenen Anzug, der sie noch müder aussehen läßt, als sie ist. Eine Minute später öffnet ein Mann mittleren Alters die Tür, der während seiner morgendlichen Joggingrunde eine kurze Pause einlegt. Zwei Frauen trinken ihren Kaffee an einem der kleinen Tische und diskutieren leise über einen Artikel, den eine von ihnen in der Zeitung gelesen hat. Ein junges Mädchen trifft sich mit ihrem Freund und ist plötzlich entsetzt, als ihr Vater das Café betritt.
Ich lächele stumm und betrachte die diversen Dramen, die vermutlich bis zum Abend schon wieder vergessen sein werden.
Es wird ruhiger, als die Gäste sich nach und nach auf den Weg machen, von denen viele sich über ihr Ziel beklagen.
Die Menschen sind oft so. Sie leben einzig für die Arbeit und beschweren sich abwechselnd darüber, daß sie gelangweilt sind oder zuviel Arbeit haben. Sie halten nur inne, um den gesellschaftlichen Konventionen zu genügen, wenn sie sich einen guten Morgen wünschen, obwohl sie mit ihren Gedanken eigentlich ganz woanders sind.
Manchmal frage ich mich, wie mein Leben wohl verlaufen wäre, wenn ich in dieser modernen Zeit geboren worden wäre. Die Sünde und das Böse scheinen nicht mehr solche Bedeutung wie vor dreihundert Jahren zu haben. Ich frage mich, ob ich ebenso entsetzt darüber gewesen wäre, was aus mir geworden ist, wenn man mich nicht im Glauben und der allgegenwärtigen Drohung der Verdammnis erzogen hätte?
Die beiden Frauen, die über Politik diskutiert haben, stehen auf und gehen gemeinsam lachend weg. Ich sehe ihnen ein wenig eifersüchtig nach, weil ich weiß, daß ihre Sorgen weit entfernt sind und sie trotz allem, was sie wissen, noch unschuldig sind.
Unschuld... ich erinnere mich an den Tag, an dem der letzte Rest meiner Unschuld starb.
10
1701
Ather führte mich aus dem Haus, und ich hatte keine andere Wahl, als ihr zu folgen. Das fahle Mondlicht belebte meinen Geist ein wenig, aber meine Sicht war immer noch rot an den Rändern, und mein Kopf dröhnte.
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