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In der Mitte des Lebens

Titel: In der Mitte des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margot Käßmann
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tief hat es mich verletzt, wenn andere mich angegriffen haben wegen einer Meinung, die ich vertreten habe. Wie viel Angst gab es auch, das
     Falsche zu tun oder zu sagen. Älter geworden, ist mir Kritik noch immer wichtig, denn wer das eigene Reden und Handeln nicht von außen spiegeln lässt, wer
     nicht mehr bereit ist, eigene Positionen zu überdenken, wird seltsam starr und letzten Endes uninteressant. Aber ich empfinde auch eine größere
     Gelassenheit. Das wurde mir bewusst, als ich in einer Pressemeldung las, in einem Buch werde mir »mangelnde theologische Bildung« vorgeworfen. Früher
     hätte mich das tief getroffen. Heute habe ich darüber eher geschmunzelt und gedacht, wer es nötig hat, die eigene Bildung kundzutun, indem er sie anderen
     abspricht, entlarvt sich doch nur selbst.
    Ich erlebe, in der Mitte des Lebens entsteht eine größere Ruhe, weniger Aufgeregtheit. Dazu ist es aber auch nötig, diese Ruhe zuzulassen. Um unsere
     Kräfte zu finden, müssen wir ihnen auch Raum geben, zu wachsen. Stille Zeiten, Rückzugszeiten, bewusste Erfahrungen seelischer und körperlicher Erholung,
     auch hier eine Balance zwischen Schaffen und Ruhen, zwischen Anforderung und Gelassenheit. Angesichts von allem, was ich erlebt und erfahren habe,
     angesichts der Erfahrung auch, dass ich heute schneller erschöpft bin als mit 30, kann ich akzeptieren, wo meine Grenzen sind, was ich brauche, damit ich
     im Gleichgewicht bin, und mir dafür die Zeit nehmen, die ich benötige. Werde ich heute gefragt, wie ich es geschafft habe, vier Kinder groß zu ziehen und
     gleichzeitig berufstätig zu sein, kann ich es gar nicht mehr sagen. Was ich weiß: Heute würde ich es nicht mehr schaffen wie damals. »Alles hat seine
     Zeit« 28 , heißt es in der Bibel. Und so hat auch das Krafthaben seine Zeit und das Kräftesammeln.
    Bei allem: Eine Sorge bleibt für mich. Vielleicht werde ich zu ruhig? Was hat mich einst die Ungerechtigkeit der Welt aufgebracht! Wie habe ich mich
     engagiert! Gerechtigkeit, Frieden undBewahrung der Schöpfung, die Anliegen des Konziliaren Prozesses, wie sehr war ich dafür unterwegs!
     Und wie unverändert zentral sind die Themen für eine Welt in Finanzkrise und Klimakatastrophe! Innere Ruhe sollte sicher auch keine Beruhigungspille
     werden. Obwohl natürlich auch das eine Erfahrung jeder Generation ist: Die Aufbrüche der Jugendzeit, das radikale Anfragen, sie werden etwas matter. Wir
     werden ruhiger. Aber wie gesagt, allzu ruhig wäre auch nicht gut in einer Welt, die so viel Elend und Unrecht kennt.
    17 In: ZEIT-Magazin Nr. 25, 11.6.2009.
    18 Leicht veränderte Fassung von: »Mit den Augen der Liebe« in: Der Überblick. Bonn 4/2004,
S. 106 ff.
    19 Psalm 45,3.
    20 Vgl. FR online 10.08.2004.
    21 Fulbert Steffensky, Die Schwachheit und die Kraft des Betens, in: Das Beten – Herzstück
der Spiritualität, hg.v. VELKD. Hannover 2005, S. 9ff.; S. 12f.
    22 Jeremia 1,7f.
    23 In dem Buch »Mit Herzen, Mund und Händen. Spiritualität im Alltag leben« (Gütersloh
2007) habe ich versucht, Anregungen dafür zu geben, wie wir mitten im Alltag solche spirituellen Elemente einbauen können.
    24 Brodersen/Zucker, a.a.O., S. 95.
    25 Stay wild statt Burnout. Leben im Gleichgewicht, hg. v. Susanne Breit-Keßler und Norbert
Dennerlein, Gütersloh 2009.
    26 Ebd. S. 62.
    27 Luise Rinser, Abenteuer der Tugend, Frankfurt 1969, S. 117.
    28 Prediger 3.

Veränderungen wagen
    Wer die Fünfzig überschreitet, wird damit konfrontiert, an Grenzen zu stoßen. Es entsteht ein Bewusstsein für die Begrenzungen der
     Möglichkeiten. Ich werde keine Kinder mehr bekommen, nicht mehr Leistungssportlerin werden, keinen neuen Beruf finden. Trotzdem ist da nicht nur ein
     »Nicht mehr« – es gibt auch die Chance zu neuen Aufbrüchen. Da kann eine frische Liebe überraschend ins Leben brechen, sich eine neue Aufgabe im Leben
     ergeben, ich kann einen Sport finden, der mich glücklich macht. Und dann geht es darum, zuzulassen, dass Neues sich ereignet, sich überraschende
     Abzweigungen im Leben zeigen, auch wenn wir die Mitte überschritten haben. Es gilt, sich eine Neugier auf das Leben zu erhalten. Und wir werden mutiger,
     wichtig und unwichtig zu unterscheiden, denke ich – weil wir zu alt werden, um länger zu machen oder mitzumachen, was letztlich nicht wichtig für uns
     ist. Unterscheiden, auswählen heißt auf griechisch krinein . Das meint also kritisch sein: die Stimmen unterscheiden, sorgfältig prüfen, und
     Kriterien

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