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In der Mitte des Lebens

Titel: In der Mitte des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margot Käßmann
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neue Partnerin oder Ehefrau – oft ist diese 10 bis 20 Jahre jünger … Deshalb werden
Männer immer häufiger in einer zweiten oder auch dritten Ehe mit einer jeweils jüngeren Frau auch ein zweites oder drittes Mal Vater. Da erzählt mir
jemand begeistert: »Herr X ist mit 60 noch einmal Vater eines kleinen Jungen geworden, ist das nicht wunderbar?« Ironisch frage ich: »Ist seine Frau
auch 60?« Nein, ist sie selbstverständlich nicht, sondern Mitte 30. Auch wenn wir ab und an lesen, dass über 50-jährige Frauen dank Invitrofertilisation
Kinder austragen, ist das eine seltene Ausnahme. Schon ab 35 gilt eine Frau als »Spätgebärende«. »Das hört sich doch furchtbar an!«, empörte sich eine
Freundin. Gibt es eigentlich einen ähnlichen Begriff für die alten Väter? Und: Ist eine so späte Vaterschaft wirklich so großartig? Wenn jener Sohn von
Herrn X in die Pubertät kommt, ist der Vater weit über 70 – dann hat er wohl kaum die Kraft zur notwendigen Auseinandersetzung. Wie wird die dann –
relativ gesehen – immer noch junge Frau mit dem alten Mann in ihrem Leben umgehen? Hat sie dann nicht ganz andere Wünsche für ihren Alltag als ihr
Partner? Hat sie am Anfang der Beziehung den älteren, beruflich etablierten, lebenserfahrenenMann gefunden und auch ihren Kinderwunsch
mit ihm erfüllt, ist sie jetzt Mutter, häufig zugleich in der versorgenden Tochterrolle einem alten Vater gegenüber und eben oft auch zusätzlich noch
die Versorgende für ihren deutlich älteren Mann. Sie trägt damit weit vor ihrer Zeit schon die Last des Alters – und zwar ihres Partners. Auch für
diese Frauen ist es schwer, die Belastung zu thematisieren, denn sie haben sich ja selbst für diesen Partner entschieden. Es sind dann Frauen, die
selbst berufstätig sind, hoch engagiert in ihrem Bereich, für die es eine Belastung darstellt, wenn sie nach Hause kommen zu ihrem Mann – der den
ganzen Tag darauf gewartet hat, dass sie kommt, dass sie sich kümmert, dass sie kocht. Auch das fühlt sich für manche wie eine Sackgasse an.
    In der Welt des 21. Jahrhunderts wollen alle alt werden, aber niemand will alt sein. Frauen, die alt sind oder jedenfalls alt aussehen, kommen in den
Bildern der Öffentlichkeit gar nicht mehr vor. Schauen wir uns allein die Filme aus Hollywood an. Da werden 60-Jährige von 40-Jährigen gespielt! Alt
wird höchstens die Dame, die Knoblauchpillen nimmt und fit wie ein Turnschuh aussieht. Und so kämpfen gerade Frauen heftig gegen das Altern an, um nicht
im Raum des Nicht-Gesehen-Werdens zu verschwinden. Scheinbar sinkt die Attraktivität von Frauen mit jedem grauen Haar, jeder Falte, jedem Kilo mehr auf
den Hüften – und Frauen, die nicht attraktiv sind, werden nicht wahrgenommen. So kann es passieren, dass sie sich selbst nicht mehr wichtig nehmen:
»Ein teures Kostüm würde ich mir nicht mehr kaufen«, sagte mir eine Frau Mitte 50, »deine Figur geht doch eh’ auseinander, ob du willst oder nicht!« Das
ist unendlich traurig, weil sie sich selbst nichts Gutes mehr tun kann.
    Frauen, die älter werden, nähern sich immer öfter auch dem Thema Sterben bewusst an. Wenn sie es nicht verdrängen, fragen sich viele, wie sie wohl die Ars moriendi , die Kunst des Sterbens, neu entdecken könnten. Denn das gehört ja zum Altern, sich der Endlichkeit des Lebens bewusster zu
werden. Da sind die Dinge, die endgültig vorbei sind – ich werde mit 70 Jahren nicht mehrAbfahrtski lernen. Und es gibt körperliche
Veränderungen, die unausweichlich sind. So setzt, wenn wir bedenken, dass wir sterben müssen, wie es in Psalm 90 so treffend heißt, auch Klugheit
ein. Viele Frauen, die ihre eigene Pflege nicht anderen anlasten wollen, überlegen sehr bewusst, wie das denn später zu organisieren wäre, so dass nicht
eine zur Last der anderen wird, aber sie sich gegenseitig helfen und begleiten. Denn auch darüber will ja im Alter nachgedacht werden. Allzu viele
verdrängen diese Frage und können dann nicht mehr mündig entscheiden. Angehörige wurden und werden bis heute in der Regel von Frauen gepflegt
(s.o.). Vielleicht haben sie deshalb die größere Freiheit, auch offen darüber zu sprechen.
    Ja, Altern ist eine Kunst. Mir ist bewusst, dass sie nicht immer gelingt, dass es auch schwer sein kann, mit manchem umzugehen, was kommen wird. Für
mich persönlich ist Altern aber auch unbedingt mit Gelassenheit und Heiterkeit verbunden. Ich habe zu manchen Dingen mehr Abstand. Ich muss nicht alles
– und auch nicht

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