In der Mitte des Lebens
Möglichkeit jetzt erkennbar vorbei. Darunter leiden Frauen, die keine Kinder haben, oft besonders. Die Kinder-Option ist
schlicht keine mehr. Das ist wie eine Schallmauer, eine unüberwindliche Grenze. Wer zu lange überlegt hat, wird jetzt von der biologischen Uhr mit
Tatsachen konfrontiert. Wer nicht überlegt hat, wird womöglich jetzt sehr nachdenklich. Viele Frauen, die viel überlegt haben, erleben diese Zeit als
eine Zeit großer Trauer. Sie hätten gern ein Kind gehabt, aber ihr Lebenslauf war einer, der es nicht möglich gemacht hat.
Dann gibt es bei vielen Frauen in den 40ern auch Verknotungen in der Gebärmutter, manchmal verbunden mit Ausschabungen, bei anderen gar mit der
Gebärmutterentfernung. »Die Totale« wurde das damals geheimnisvoll von meiner Mutter und ihren Bekannten genannt. In der Runde von Freundinnen Ende
vierzig, Anfang fünfzig kann so ein Gespräch über Klimakterium und Gebärmutter schnell ganz existenziell werden. Alle Lebensentwürfe, die gelungenen und
die gescheiterten, kommen auf den Tisch. Hoffnungen, Träume, Pläne. Wie wichtig ist das, dass darüber gesprochen wird! Das ist ja ein echter Gewinn der
vergangenen Jahre, finde ich: Frauen untereinander sind sprachfähiger geworden, können lachen über die Komik, die sich in manchem zeigt, finden aber
auch Raum beieinander, um zu klagen über nicht gelungene Lebensentwürfe, verpasste Chancen, falscheEntscheidungen. Und das tut
gut. Gerade die Trauer um das, was ich verpasst habe, sie braucht ja Raum. Die Ballade von Lucy Jordan, von der Marianne Faithfull singt, hat mich bei
diesem Gedanken oft bewegt. »At the age of 37 she realized, she´d never ride through Paris in a sportscar with the warm wind in her hair« – mit 37
begreift sie, dass sie niemals in einem Cabrio durch Paris fahren würde. In dieser Ballade springt Lucy Jordan vom Dach – ein trauriges Lied, das von
einer Frau erzählt, die nicht damit fertig wird, dass sie ihre Träume nicht verwirklich hat, die aber auch keine Hoffnung mehr hat, dass Neues möglich
ist in ihrem Alter.
Nach meiner Erfahrung sind die unterschiedlichen Lebensentwürfe heute keine Hemmschwellen mehr für Freundschaften zwischen Frauen mit Kind und ohne
Kind, Frauen mit Berufstätigkeit und ohne, zwischen Geschiedenen, Singles und Ehefrauen. Das tut gut, sich austauschen können, Tabus überwinden, Worte
finden, lachen, weinen und reden; altern in Gemeinschaft. Der Film »Sex and the City« ist trotz aller Hollywoodklischees, die erfüllt werden, ein
schönes Beispiel dafür. Diese Frauen reden ununterbrochen miteinander, oft oberflächlich, sicher, aber oft auch mit feinsinnigem Humor für die eigenen
Schwächen wie die der anderen. Und am Ende feiern sie zusammen den 50. Geburtstag, den die Älteste von ihnen als Erste erlebt. Interessant finde ich,
dass es noch vor etwa 20 Jahren ein Hollywoodfilm war, der diesen berühmten Satz verbreitete: dass es für eine Single-Frau über 35 wahrscheinlicher sei,
mitten in Manhattan von einem Meteoriten erschlagen zu werden, als noch einen Mann zu finden. Da scheint sich selbst in der nicht gerade
fortschrittlichen Film-Welt die Wahrnehmung verändert zu haben … Und im Alltag vieler ist es durchaus normal geworden, auf Partnersuche im Internet zu
sein. Das hat keinen despektierlichen Klang mehr. Dadurch, dass Menschen isolierter voneinander leben, ist das Internet eine Möglichkeit, sich
kennenzulernen, die nichts Anrüchiges mehr hat. Inzwischen gibt es Angebote der unterschiedlichsten Art, auch für Senioren , die vollkommen seriös
sind.
Aber natürlich gibt es auch Belastungen in der Mitte des Lebens, Erfahrungen und Situationen, in denen Menschen sich fühlen wie in
einer Sackgasse angekommen. Ein Beispiel ist die Bitterkeit der um einer anderen willen verlassenen Ehefrau. Selten findet sie einen Raum, in dem sie
sich artikulieren kann. Oft haben andere für sie eher nur Mitleid übrig – »verlassene Ehefrau« ist nicht gerade ein Ehrentitel. Sie soll sich halt
arrangieren. Und wenn sie einen sogenannten Rosenkrieg führt, ihre Bitterkeit zum Ausdruck bringt, wird aus Mitleid schnell Verachtung. Immer wieder
nehmen Frauen in dieser Situation wahr, dass zu Geburtstagen oder gemeinsamen Essen weniger Einladungen kommen oder sie die Einladungen weniger gern
annehmen, wenn sie als Single unter Paaren sind. Schritt für Schritt kann es so zu einer zunehmenden Isolierung kommen.
Männer in diesem Alter finden offenbar relativ schnell eine
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