In der Mitte des Lebens
Alterns.
In Psalm 124 heißt es: »Unsre Seele ist entronnen wie ein Vogel dem Netze des Vogelfängers; das Netz ist zerrissen, und wir sind frei« (Vers 7). Ein
schönes Bild. Die Freiheit von den Verpflichtungen des Berufes, der Versorgung der Kinder und auch von allzuvielen
Rücksichtnahmen. Aufstehen, wann ich mag, die Zeit einteilen, wie ich will, tun, was ich will. Ein ideales Bild von »Ruhestand«. Aber dieser Ruhestand
will auch vorbereitet werden, damit die Freiheit nicht zur Enttäuschung oder Belastung wird. Für viele kommt der große Lebensumbruch schon Mitte 50 oder
Anfang 60. Sie waren erwerbstätig und sehen sich plötzlich vor einer Leere, weil der Rhythmus fehlt. Warum aufstehen, wenn es nichts zu tun gibt? Keine
Arbeit auf mich wartet? In meiner Bank verabschiedete sich neulich eine Dame von mir, sie sei nun 65, habe schon ein halbes Jahr verlängern lassen, aber
nun müsse sie gehen. Sie wolle eigentlich nicht, Arbeit war so wichtig im Leben …
Ich denke, es ist wichtig, zum einen schon relativ früh zu bedenken, was mir in den letzten zehn, 15 Berufsjahren vor allem wichtig ist, was ich noch
tun will. Zum anderen aber auch zu überlegen, wie ich meinen Ruhestand gestalten will. Ich erlebe Menschen da sehr unterschiedlich. Die einen sprühen
vor Aktivität und Lebenslust und genießen in der Tat die neue Freiheit. Die anderen sind verunsichert und ziehen sich mehr und mehr zurück. Dabei haben
Frauen es in dieser Phase offensichtlich leichter. Durch ihre sozialen Aktivitäten bleiben sie vielfach eingebunden in Beziehungen, und die
Haushaltsanforderungen, die in der Regel bei ihnen liegen, geben Verpflichtungen vor. Das Älterwerden ist eine Herausforderung und eine Kunst, die
eingeübt werden kann. Die Freiheit, die es mit sich bringt, will gestaltet sein, das ist deutlich.
29 1. Mose/Genesis 18,11.
30 Autor und Quelle unklar – ist es Eugen Roth, Wilhelm Busch oder jemand anders?
31 Lukas 2,25.
32 Heinz Zahrnt, Glaube unter leerem Himmel, München 2000, S. 250.
33 Vgl. SZ, 3. Juli 2008.
Lebenserfahrungen machen
Kein Leben verläuft gerade, einfach so, nach Plan, oder immer im Aufwind. Es gibt Höhen und Tiefen. Mir ist wichtig, die schweren
Zeiten nicht als verlorene Zeit zu sehen, sondern als Zeit der Reife. Die Tiefe des Lebens erfahren wir gerade in Zeiten von Angst, Krankheit und
Konflikt. Allzu glatte Bilder nach außen sind ja oft auch Fassaden, die das Innere verdecken, das womöglich anders aussieht. Es ist eine Frage der
Freiheit und ja, wiederum der Balance, die schweren Zeiten bewusst zu erleben.
Wüsten durchqueren 34
Danach wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt,
um vom Teufel versucht zu werden. 35
Auch wenn wir die Wüstenerfahrung nicht suchen: Manchmal finden wir uns vor in der eigenen Wüste des Lebens, gerade dann, wenn wir den Zenit überschritten haben und auf der Suche nach der Mitte sind. Wir erleben die Wüste der Einsamkeit, der Trauer, der Krankheit, des Versagens. Wüstenzeit, auf sich geworfen sein – allein mit sich und manchmal, wenn es sein kann, mit Gott allein. Es gibt natürlich aber auch eine Wüstenzeit des Glaubens: Gibt es Gott? Wie kann Gott das zulassen? Warum steht Gott mir nicht bei?
Wer in die Wüste geht, ist getrieben von der Sehnsucht nach Klärung. Nein, das ist nicht das Abenteuer und die Rallye Paris –Dakar … Da ist nichts Sensationelles, sondern Einsamkeit. In der Wüste geht es um den Mut, sich selbst gegenüberzustehen. Oder sich selbst und Gott. Wer in die Wüste geht, kann niemandem mehr etwas vormachen. Da bin ich nur ich. Keine Fassade. Kein schöner Schein. Kein big pretender .
Wüstenzeit ist Zeit der Sensibilität, des Schutzlos-Seins. Ausgesetzt der Sonne, dem Hunger, den Gefahren des Lebens und der Kälte der Nacht. Hier geht es nicht um Überlebenstraining und schöne Sonnenuntergänge. Wüste steht in der Bibel für Einsamkeit und für das Selbst. Für Selbst-Erfahrung. Und für Gotteserfahrung. Wüste ist auch ein Auf-Sich-Geworfen-Sein. Eine Wüstenzeit suchen sich nur wenige Menschen freiwillig. Und doch müssen die meisten Menschen sie irgendwann und irgendwie erleben und durchleben.
Vier Tage können da schon zu viel sein, unerträglich. Von vierzig Tagen ganz zu schweigen – eine überlange Zeit. Die Vierzig begegnet uns häufiger: Vierzig Tage lang fastet Jesus in der Wüste. Vierzig Jahre lang geht das Volk Israel durch die Wüste. Vierzig Tage verbringt Moses auf dem Berg Sinai, bevor ihm die
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