In der Mitte des Lebens
Anlass realisiert hat, war sie ernst, aber ganz ruhig. Sie ist Krankenhausseelsorgerin, für sie ist das auch nichts, was total überrascht. So ist das Leben. Doch, das war ein gutes Gespräch.
Inzwischen ist Christian wieder da. Lea fragt, ob wir zusammen Tatort gucken. Und das ist dann richtig nett zu dritt: Tatort und Essen. Hanna und Lea werden morgen zuerst das Auto zur Reparatur bringen und Hanna mich dann um 10 Uhr ins Krankenhaus. Ab dann werden die Uhren anders ticken, aber es gibt wenigstens einen Zeitplan, auf den sich Kanzlei, Familie und Landeskirche insgesamt einstellen könnten. Um 13 Uhr wird Esther aus Frenswegen zurückkommen. Sie wird das Ganze dann erst auch noch einmal verkraften müssen …
28. August. Ein Knoten halt und der muss raus …
Was für ein Tag!!! Früh bin ich mit unserem Hund Ole Gassi gegangen, habe Wäsche gewaschen,
die Blumen gegossen, eingekauft, Geld von der Bank geholt – wer weiß, was kommt. Um 10 Uhr bin ich mit Hanna im Sprechzimmer von Prof. H. Frau
Dr. S. nimmt uns in Empfang. Sie erklärt noch einmal den Befund, und dass sie mich heute gerne »stanzen« würden. Das sei notwendig, um Gewebeproben zu
entnehmen und zu prüfen, ob der diagnostizierte Knoten definitiv bösartig sei. Sie wundere sich, dass Frau W. ihn ertastet habe, der sei noch klein und
tief im Gewebe … (1:0für meine Frauenärztin, ich werde mich heute Abend bei ihr bedanken!). Frau S. meint jedenfalls, es könne sogar
sein, dass ich an einer Chemo vorbeikomme. Werden keine Metastasen gefunden, könnte eine Strahlentherapie reichen, es sei denn, ich wollte unbedingt eine
Chemotherapie zur Sicherheit. Hanna fragt nach dem Unterschied: Strahlentherapie bedeutet eben nur die Brust, Chemo geht auf den ganzen Körper, Ersteres
hat kaum Nebenwirkungen, Letzteres zwar weniger als früher, aber doch immer noch.
Ich frage nach den zeitlichen Perspektiven. Mit der OP eine Woche im Krankenhaus, dann eine Woche Erholung und sechs Wochen fünfmal Strahlentherapie,
also im Prinzip sei ich acht Wochen krankgeschrieben. Manche wollten aber früher wieder arbeiten, fühlten sich fit. Ich habe mir am Wochenende überlegt,
dass das auch niemandem hilft, so ein Vielleicht oder Vielleichtnicht. Aber vielleicht :-) kann ich ja doch mit nach Lanzarote …
Dann geht es zum Stanzen. Frau Dr. B. (ich bin baff, wie viele Frauenärzt innen es inzwischen gibt!) und eine freundliche Schwester bitten mich hinein. Hanna hat eben noch gesagt, es höre sich ja alles gar nicht so schlimm an, zögert aber jetzt, ob sie sich das ansehen will. Ich ermutige sie, aber zwingen will ich sie auch nicht. Sie ist also dabei und ich muss sagen, das ist auch ganz schön so. Erst wird die Brust betäubt, dann wird ein kleiner Ritz gemacht und fünfmal eine wie ich finde ziemlich eklig lange Metallnadel in den Tumor geschossen. Die Gewebeproben werden in ein kleines Kästchen gekratzt. Leider ist der dritte Schuss nicht so optimal, wir brauchen sechs Versuche. Also: Das ist nicht wahnsinnig schmerzhaft, aber ich kann mir Angenehmeres vorstellen! Die beiden Frauen sind aber sehr freundlich, erklären, fragen, ob ich okay bin. Angeschaut habe ich mir das auf dem Monitor nur einmal. Es sieht scheußlich aus, wenn diese Nadel in den Tumor schießt. Hanna guckt bei jedem Schuss nach unten, aber sie ist tapfer und kollabiert nicht. Schließlich wird ein fester Druckverband angelegt und wir können gehen. Uns beiden schlottern jetzt doch ein bisschen die Beine.
»Du kannst nie tiefer fallen als in Gottes Hand«, denke ich … Daran halte ich mich fest. Diesen Satz werde ich mir und anderen in
den kommenden Wochen immer wieder sagen.
Das war der Anfang des Tagebuches, das ich geführt habe, bis ich am 1. Januar 2007 mit meiner Freundin Almut wieder in 40 Minuten um
den Maschsee laufen konnte. Anfügen will ich einen kleinen nachträglichen theologischen Exkurs, der anknüpft an Gedanken, die ich als Hauptvortrag auf der
Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes 2003 in Winnipeg vorgetragen habe. Denn nach meiner Krankheit habe ich immer wieder Briefe von Menschen
erhalten, die damit ringen, dass sie oder Menschen, die sie lieben, erkranken. Was bedeutet Krankheit, wie gehen wir im Glauben damit um?
Schon im Buch Hiob im Alten Testament der Bibel erfahren wir die Grenzen eines Erklärungsmusters, das Leiden als Strafe deutet. Hiob, der Gerechte, muss leiden. Und die traditionellen Antworten Hiobs tragen nicht, angesichts
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