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In der Mitte des Lebens

Titel: In der Mitte des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margot Käßmann
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Jüngerinnen und Jünger gewinnen ihr Gottvertrauen zurück, als Jesus die verschlossenen Türen durchbricht. Dieses Vertrauen ermöglicht Gottes Geist, den er ihnen zusagt, den wir spüren können, wenn wir uns öffnen. In diesem Vertrauen können Wunden heilen, auch wenn Narben bleiben. In diesem Vertrauen gehen wir mitten in einer verwirrten Welt unbeirrt unseren Weg als eine Gemeinschaft der Hoffnung, die glaubt, dass die Liebe Gottes stärker ist als Hass, Gewalt, Grauen und Tod.
    Als Christinnen und Christen haben wir den Mut, die Wunden anzusehen, können wir Gottes Ohnmacht und Gottes Allmacht zusammen denken. Ja, wir müssen die Gebrochenheit des Lebens aushalten, die Kreuzeserfahrung als Teil des Lebens annehmen.
    In der Mitte des Lebens ist mir wichtig geworden, Krankheit und Leid und Krisen als Vertiefung anzusehen. Menschen, die nichts davon erfahren haben, bleiben meist oberflächlich, denke ich manchmal. Interessanter jedenfalls sind diejenigen, die solche Tiefen kennen, denn sie leben anders.
    Es ist mir wichtig, mich an die Gefühle aus der Zeit der Erkrankung zu erinnern, sie nicht einfach abzuheften und zu vergessen. Und viele Frauen haben mir inzwischen auch ihre Erfahrungen mit einer Erkrankung geschildert, ihre Gefühle, die sehr ähnlich waren. Höhen und Tiefen, Hin- und Hergerissensein. Ich habe die OP gut überstanden, die Strahlentherapie auch. Nach acht Wochen habe ich wieder angefangen zu arbeiten.
    Und es war da eben doch auch ein tiefer Einschnitt, weil ich in dieser Zeit begriffen habe, dass ich der Tatsache ins Auge schauen muss, dass meine Ehe
     als gelebte Beziehung nicht mehr existiert. In einer existenziell bewegenden Situation ist es nicht möglich, vor der Realität wegzulaufen. Ich hatte es
     verdrängt, hatte versucht, diese Erkenntnis zu ignorieren. Die Erkrankung hat mir letzten Endes den Mut gegeben, mich dieser Wirklichkeit zu
     stellen. Insofern kann ich im Rückblick sagen, dass ich auch dankbar bin für die Krankheit. Ich habe Grenzen gesehen, eigene Schwäche eingestehen müssen,
     und ich habe viel Liebe erfahren. Und als ich wieder um den Maschsee laufen konnte, habe ich auch ein großes Glück gespürt über geschenkte Zeit im
     Leben.
Glück genießen
    Lasst uns jubeln und fröhlich sein und ihm die Ehre geben. 52
    Während meines Urlaubs im Februar mit einer Freundin auf Gran Canaria sprach mich nach einer Sportstunde eine Frau an. Eigentlich mag
     ich das nicht, es tut im Urlaub auch einfach gut,nicht »im Dienst« zu sein. Aber sie war so voller innerer Freude, das hat mich richtig
     gerührt. Sie erzählte, dass sie gerade die Augen geschlossen hatte, in den blauen Himmel schaute und dachte: Lieber Gott, danke, dass ich das erleben
     darf! Da habe sie ihr Mann angeschubst und gesagt: Guck mal, ein Gruß für dich. Über die Hotelanlage flog ein Hubschrauber mit dem Banner: »Jesus war
     da«. Irgendwie kitschig, ich weiß. Aber mich hat angerührt, wie sehr sich diese Frau über einen schönen Tag im Hotel freuen konnte. Sie konnte ihr Glück
     wahrnehmen, sie konnte es spüren.
    Allzu oft treffe ich Menschen, die gar nicht wahrzunehmen scheinen, in welch einer privilegierten Situation sie leben. Eine Reporterin fragte mich
     einmal in einem Interview: »Auf einer Skala von eins bis zehn, wo sehen Sie sich mit Blick auf Glück?« Ich habe gesagt: »Zehn!«, und sie war
     erstaunt. Wenn ich bedenke, wie Frauen in anderen Ländern heute leben müssen, wie Frauen in Europa in den Jahrhunderten und Jahrzehnten vor mir gelebt
     haben, dann kann ich unsere Lebenssituation nur als glücklich bezeichnen! Noch bis Ende des letzten Jahrhunderts konnten Ehemänner den Arbeitsplatz der
     eigenen Frau kündigen, wenn sie meinten, diese käme den ehelichen Pflichten nicht nach. Heute können Frauen einen Schulabschluss machen, eine Ausbildung,
     studieren, leitende Positionen übernehmen – aus eigener Kraft, in eigener Verantwortung. Zum Glück!
    Es ist einfach noch gar nicht so lange her, dass es auch hierzulande ganz anders war! Natürlich war auch in der evangelischen Kirche Gleichberechtigung nicht von vornherein angesagt. »Heiratet das Zeug doch weg!«, diesen schrecklichen frauenverachtenden Satz rief Anfang der 60er-Jahre noch ein entsetzter Pastor seinen Glaubensbrüdern zu, wird erzählt – sein Vorschlag, um die Frauenordination zu verhindern. Doch was 1927 in der hannoverschen Landeskirche ganz vorsichtig mit dem »Pfarramtshelferinnen«-Gesetz begonnen hat,

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