In der Schwebe
plötzlich in Luthers Umklammerung ruckartig herum. Sein Helm krachte gegen die Werkzeugaufhängung. Ein dünner Strahl, wie eine Art weißer Nebel, schoss aus seinem Visier hervor.
»Sein Helm, Luther!«, schrie Emma. »Sieh nach seinem Helm!«
Luther starrte auf Nikolais Visier. »Scheiße, er hat einen Sprung!«, rief er. »Ich kann die Luft ausströmen sehen! Er verliert Druck!«
»Dreh seinen Reserve-Sauerstoff auf und bring ihn
sofort
rein!«
Luther griff nach dem Regler an Nikolais Anzug und schaltete die Sauerstoff-Notversorgung ein. Der zusätzliche Luftstrom würde den Anzug vielleicht noch so lange mit Innendruck versorgen, dass er Nikolai lebend zurückbringen konnte. Jetzt steuerte Luther mit seinem Partner auf die Luke zu. Es kostete ihn immer noch Mühe, ihn einigermaßen unter Kontrolle zu halten.
»Macht schnell«, murmelte Griggs. »Mein Gott, macht schnell!«
Es vergingen kostbare Minuten, bis Luther Nikolai durch die Luke gezogen, die Klappe geschlossen und den Druck in der Schleuse wiederhergestellt hatte. Sie warteten nicht die übliche Dichtigkeitsprüfung ab, sondern pumpten den Druck gleich auf eine Atmosphäre hoch.
Die innere Klappe öffnete sich, und Emma tauchte in die Ausrüstungsschleuse.
Luther hatte Nikolais Helm bereits abgenommen und versuchte verzweifelt, seinen Kollegen vom oberen Rumpfpanzer zu befreien. Gemeinsam gelang es ihnen, den sich heftig wehrenden Nikolai aus seinem Anzug herauszumanövrieren. Emma schleppte ihn zusammen mit Griggs quer durch die Station bis zum RSM, wo die Stromversorgung noch intakt war. Er schrie die ganze Zeit und krallte ständig nach der linken Seite seiner Kopfhörerkappe. Seine Augen waren geschwollen, die Lider wölbten sich nach außen. Sie berührte seine Wangen und spürte ein leichtes Vibrieren – durch den Druckabfall hatten sich im subkutanen Gewebe Luftbläschen gebildet. Auf seinem Unterkiefer glitzerte eine Speichelspur.
»Nikolai, beruhigen Sie sich!«, sagte Emma. »Es ist alles in Ordnung, verstehen Sie mich? Es wird schon wieder!«
Er kreischte und riss sich die Kopfhörerkappe herunter. Sie segelte davon.
»Helft mir, ihn auf den Tisch zu legen!«, sagte Emma.
Alle Hände waren nötig, um den Behandlungstisch aufzubauen, Nikolai den wassergekühlten Innenanzug auszuziehen und ihn festzuschnallen. Während Emma seine Herz- und Lungengeräusche überprüfte und seinen Bauch untersuchte, wimmerte er in einem fort und warf den Kopf hin und her.
»Es ist sein Ohr«, sagte Luther. Er hatte seinen klobigen Raumanzug abgelegt und sah mit großen Augen zu, wie Nikolai sich unter Qualen wand. »Er sagte, er hätte was ins Ohr bekommen.«
Emma nahm Nikolais Gesicht genauer in Augenschein. Besonders die Speichelspur, die sich vom Kinn den Unterkiefer entlang bis zum Ohr zog. Auf der Ohrmuschel war ein feuchter Fleck.
Sie schaltete das batteriebetriebene Otoskop ein und führte den Tubus in Nikolais Gehörgang.
Das Erste, was sie sah, war Blut. Ein hellroter Tropfen glitzerte im Licht des Otoskops. Dann sah sie nach dem Trommelfell.
Es war durchbohrt. Statt der hell schimmernden Membran erblickte sie ein gähnendes schwarzes Loch. Ihr erster Gedanke war:
Barotrauma.
Hatte der plötzliche Druckabfall sein Trommelfell zerrissen? Sie überprüfte das andere Trommelfell und fand es unversehrt.
Verwirrt schaltete sie das Otoskop aus und sah Luther an.
»Was ist da draußen passiert?«
»Ich weiß es nicht. Wir hatten eine Verschnaufpause eingelegt. Wir wollten uns kurz ausruhen und dann das Werkzeug einpacken. Gerade war er noch okay, und im nächsten Moment fing er schon an durchzudrehen.«
»Ich muss mir seinen Helm ansehen.«
Sie verließ das RSM und machte sich auf den Weg zurück zur Ausrüstungsschleuse. Dort öffnete sie die Klappe und sah die beiden Raumanzüge, die Luther wieder an der Wandhalterung befestigt hatte.
»Was haben Sie vor, Watson?«, fragte Griggs, der ihr gefolgt war.
»Ich will sehen, wie groß der Riss war. Wie schnell er an Druck verloren hat.«
Sie schwebte auf den kleineren der beiden Anzüge zu, der mit »Rudenko« gekennzeichnet war, und nahm den Helm ab. Sie musterte ihn sorgfältig und fand einen feuchten Fleck an der Innenseite des gesprungenen Visiers. Aus einer der aufgesetzten Taschen ihres Anzugs nahm sie einen Wattetupfer und tunkte ihn in die Flüssigkeit. Sie war zähflüssig und gallertartig. Blaugrün.
Ein eiskalter Schauer rieselte ihr über den Rücken.
Kenichi war hier
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