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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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NASA trat mit einem Laptopfutteral unter dem Arm ins Zimmer. Er war ein dünner, zerbrechlich wirkender Mann, der seit zwei Jahren gegen ein malignes Lymphom ankämpfte. Es war deutlich zu sehen, dass er den Kampf fast verloren hatte. Die Haare waren ihm bis auf ein paar dünne weiße Strähnen ausgefallen, und seine Haut war wie gelbes Pergament, das sich über die spitzen Knochen seines Gesichts spannte. Aber aus seinen Augen leuchtete das Feuer der Begeisterung, am Leben gehalten durch die unermüdliche Neugier des Wissenschaftlers.
    »Haben wir sie bekommen?«, fragte Jack.
    Petrovitch nickte und klopfte auf seine Computertasche. Auf seinem knochigen Gesicht wirkte das Lächeln geradezu gespenstisch. »Das USAMRIID war bereit, uns Einblick in einige seiner Daten zu gewähren.«
    »Einige?«
    »Nicht alle. Ein großer Teil des Genoms ist immer noch Verschlusssache. Man hat uns nur Teile der Sequenz gegeben, mit großen Lücken dazwischen. Sie zeigen uns gerade eben genug, um zu beweisen, dass die Situation ernst ist.« Er ging mit dem Laptop zum Esszimmertisch und klappte ihn auf. Alle traten näher, um zuzusehen, wie Petrovitch den Computer startete und dann eine Diskette einlegte.
    Über den Bildschirm flossen Daten, Zeile um Zeile voller Buchstaben in scheinbar zufälliger Folge, die in Schwindel erregendem Tempo vorbeihuschten. Es war kein Text, denn aus diesen Buchstaben setzten sich keine Wörter zusammen, sondern ein Code. Die gleichen vier Buchstaben erschienen immer wieder in wechselnder Reihenfolge: A, T, G und C. Sie standen für die Nucleotide Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin. Die Bausteine der DNS. Diese Kette von Buchstaben war ein Genom, der chemische Bauplan eines lebenden Organismus.
    »Dies hier«, sagte Petrovitch, »ist ihre Chimäre. Der Organismus, der Kenichi Hirai getötet hat.«
    »Was ist das denn eigentlich, diese Chimäre, von der alle dauernd reden?«, fragte Randy Carpenter. »Vielleicht könnten Sie das mal erklären, wenn auch nur uns ungebildeten Ingenieuren zuliebe.«
    »Gewiss«, erwiderte Petrovitch. »Und es gibt keinen Grund, sich deswegen ungebildet vorzukommen. Der Begriff wird außerhalb der Molekularbiologie nur selten verwendet. Er stammt aus der griechischen Mythologie. Die Chimäre war ein sagenhaftes, angeblich unbesiegbares Wesen; eine Feuer speiende Kreatur mit dem Kopf eines Löwen, dem Rumpf einer Ziege und dem Schwanz einer Schlange. Sie wurde schließlich von einem Helden namens Bellerophon erschlagen. Es war nicht gerade ein fairer Kampf, denn er hat gemogelt. Er ließ sich von Pegasus, dem geflügelten Pferd, tragen und beschoss die Chimäre aus der Luft mit Pfeilen.«
    »Diese ganze Mythologie ist ja hochinteressant«, warf Carpenter ungeduldig ein, »aber was hat das alles mit der Sache hier zu tun?«
    »Die griechische Chimäre war ein bizarres Lebewesen, das aus drei verschiedenen Tieren zusammengesetzt war. Löwe, Ziege und Schlange, alle zu einem einzigen Tier verbunden. Genau so ein Fall liegt auch bei diesem Chromosom vor. Eine Kreatur, die nicht weniger bizarr ist als das Monster, das von Bellerophon getötet wurde. Wir haben es hier mit einer
biologischen
Chimäre zu tun, deren DNS von mindestens drei nicht miteinander verwandten Arten stammt.«
    »Können Sie diese Arten identifizieren?«, fragte Carpenter. Petrovitch nickte. »Im Laufe der Jahre haben Forscher in der ganzen Welt eine Bibliothek von Gensequenzen für eine Vielzahl von Arten zusammengetragen, von Viren bis hin zu Elefanten. Das Sammeln dieser Daten ist allerdings ein langsamer und mühsamer Prozess. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis auch nur das menschliche Genom entschlüsselt war. Sie können sich also vorstellen, dass für eine ganze Reihe von Arten noch keine Gensequenzen vorliegen. Große Teile des Genoms dieser Chimäre können nicht identifiziert werden, weil sie noch nicht in der Bibliothek zu finden sind. Aber hier haben Sie diejenigen, die wir bisher identifizieren konnten.«
    Er klickte auf »Übereinstimmungen mit bekannten Arten«.
    Auf dem Monitor erschien:
    Mus musculis (Hausmaus)
    Rana pipiens (nördlicher Leopardfrosch)
    Homo sapiens
    »Dieser Organismus ist also teils Maus, teils Frosch und teils Mensch.« Er machte eine Pause. »In gewisser Weise«, sagte er, »sind wir selbst der Feind.«
    Im Zimmer wurde es still.
    »Welches unserer Gene ist auf diesem Chromosom?«, fragte Jack leise. »Welcher Teil der Chimäre ist menschlich?«
    »Eine interessante Frage«,

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