In der Schwebe
Luther? Antwortet bitte.«
»Mist«, sagte Luther.
»Was ist es? Könnt ihr was erkennen?«, fragte Griggs.
»Ich sehe das Problem genau vor mir, und es ist eine ziemliche Bescherung, Mann. Das ganze P-6-Ende der Hauptträgerstruktur ist verbogen. Die
Discovery
muss das 2-B-Segel gestreift haben, und dann hat sie sich gedreht und dabei die S-Band-Antennen abgeknickt.«
»Was meinen Sie? Können Sie irgendetwas reparieren?«
»Das S-Band ist kein Problem. Dafür haben wir einen Reservesatz, den können wir einbauen. Aber die Backbord-Sonnensegel – die kann man vergessen. An dem Ende müssten wir den ganzen Träger auswechseln.«
»Okay.« Erschöpft rieb sich Griggs über das Gesicht. »Okay, wir haben also definitiv ein Photovoltaik-Modul weniger. Ich würde sagen, damit können wir leben. Aber die P-4-Segel müssen neu ausgerichtet werden, sonst sehen wir alt aus.«
Es gab eine Pause, während der Luther und Nikolai am Hauptträger entlang zurückkletterten. Plötzlich erfasste die Kamera sie wieder: Emma sah sie in ihren unförmigen Anzügen mit den riesigen »Rucksäcken« langsam vorübergleiten wie Tiefseetaucher im Ozean. An den P-4-Segeln angelangt, hielten sie inne, und einer der Männer schwebte an der Seite der Trägerstruktur hinunter, um den Mechanismus in Augenschein zu nehmen, der die enormen Sonnensegel mit dem Rückgrat des Trägers verband.
»Die Kardanaufhängung ist verbogen«, sagte Nikolai. »Sie dreht sich nicht.«
»Können Sie sie freibekommen?«, fragte Griggs.
Sie hörten, wie Luther und Nikolai rasch ein paar Worte wechselten. Dann sagte Luther: »Wie elegant soll diese Reparatur denn sein?«
»Wie ihr’s macht, ist egal. Wir brauchen den Saft so schnell wie möglich, sonst kriegen wir Probleme, Leute.«
»Ich schätze, wir machen’s wie die Jungs von der Autowerkstatt.«
Emma sah Griggs an. »Habe ich das richtig verstanden?«
Es war Luther, der die Frage beantwortete. »Wir nehmen einfach einen Hammer und biegen das verdammte Teil mit ein paar Schlägen wieder hin.«
Er lebte noch.
Dr. Isaac Roman blickte durch das Sichtfenster auf seinen unglückseligen Kollegen, der in einem Krankenhausbett saß und fernsah. Er schaute sich doch tatsächlich Zeichentrickfilme an. Mit fast verzweifelter Konzentration verfolgte er das Kinderprogramm auf Nickelodeon. Die mit einem Raumanzug bekleidete Krankenschwester, die in das Zimmer trat, um das Tablett mit seinem unberührten Mittagessen abzuräumen, würdigte er keines Blickes.
Roman drückte auf den Knopf der Gegensprechanlage. »Wie geht es Ihnen heute, Nathan?«
Dr. Nathan Heisinger sah überrascht zum Fenster und bemerkte erst jetzt, dass Roman auf der anderen Seite der Glasscheibe stand. »Mir geht’s gut. Ich bin vollkommen gesund.«
»Sie haben keinerlei Symptome?«
»Ich sagte doch bereits, es geht mir gut.«
Roman betrachtete ihn eine Weile eingehend. Der Mann sah recht gesund aus, doch sein Gesicht wirkte blass und angespannt. Ängstlich.
»Wann kann ich die Isolierstation verlassen?«, fragte Heisinger.
»Sie sind doch erst dreißig Stunden drin.«
»Bei den Astronauten sind schon nach achtzehn Stunden Symptome aufgetreten.«
»Das war in der Mikrogravitation. Wir wissen nicht, womit wir zu rechnen haben, und wir können kein Risiko eingehen. Das wissen Sie.«
Abrupt wandte Heisinger sich wieder dem Fernseher zu, doch nicht bevor Roman das Schimmern der Tränen in seinen Augen gesehen hatte. »Meine Tochter hat heute Geburtstag.«
»Wir haben ihr in Ihrem Namen ein Geschenk geschickt. Ihrer Frau hat man mitgeteilt, dass Sie nicht kommen konnten. Sie wären in Kenia mit dem Flugzeug unterwegs.«
Heisinger lachte verbittert auf. »Da haben Sie ja saubere Arbeit geleistet. Und wenn ich sterbe? Was sagen Sie ihr dann?«
»Dass es in Kenia passiert wäre.«
»Zum Sterben ist ja wohl jeder Ort gleich gut.« Er seufzte. »Was haben Sie ihr denn geschickt?«
»Ihrer Tochter? Eine Barbie-Doktorpuppe, glaube ich.«
»Genau das, was sie sich gewünscht hat. Woher wussten Sie das?«
Romans Handy klingelte. »Ich sehe später noch mal nach Ihnen«, sagte er und wandte sich vom Fenster ab, um den Anruf entgegenzunehmen.
»Dr. Roman, hier ist Carlos. Wir haben erste Ergebnisse von den DNS-Analysen. Sie sollten mal vorbeikommen und sich das ansehen.«
»Bin schon unterwegs.«
Als er im Labor ankam, saß Dr. Carlos Mixtal am Computer. Über den Bildschirm floss ein ununterbrochener Strom von
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