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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Peoria erinnern. Einmal im Jahr hatte seine Mutter die Kinder mit in die Stadt genommen, damit sie sich die Thanksgiving-Parade ansehen und dem Nikolaus winken konnten. Baedecker war zu alt für den Weihnachtsmann gewesen, hatte sich aber dennoch mit seinen jüngeren Schwestern auf die Steinlöwen beim Gerichtsgebäude gesetzt und pflichtschuldig gewinkt. In einem Jahr war Nikolaus in einem Jeep eingetroffen, und die Elfen trugen die Uniformen der vier Streitkräfte. Baedecker erinnerte sich, daß der Rasen des Stadtparks sanft zum verschnörkelten Pfefferkuchenhaus des Gerichtsgebäudes hin angestiegen war. Er spielte, daß er erschossen worden sei, und ließ sich den grasbewachsenen Hang hinunterrollen, bis seine Mutter ihn anschrie, er solle damit aufhören. Nun fiel ihm auf, daß der Park er glaubte zumindest, daß es sich um denselben Block handelte in eine schlampig angelegte Kunstlandschaft vor dem Glaskasten eines Stadtverwaltungsgebäudes verwandelt worden war.
    »Reagans Rezession«, sagte Ackroyd. »Und davor Carters Rezession. Die gottverdammten Russen.«
    »Russen?« Baedecker rechnete halb damit, einen Strom von John-Birch-Propaganda zu hören zu bekommen. Er glaubte sich zu erinnern, daß er gelesen hatte, George Wallace hätte 1968 bei den Vorwahlen in Peoria County kandidiert. 1968 hatte Baedecker als Mitglied des Teams von Apollo 8 sechzig Stunden im Simulator verbracht. Er hatte keinerlei Erinnerungen an das Jahr, abgesehen von den Terminen des Projekts. Im Januar 1969 war er aus seinem Kokon herausgekommen und hatte festgestellt, daß Bobby Kennedy tot war, daß Martin Luther King tot war, LBJ nur noch eine Erinnerung und Richard M. Nixon Präsident. In Baedeckers Büro in St. Louis, an der Wand über der Hausbar, hing zwischen zwei Ehrendoktorurkunden von Universitäten, die er nie besucht hatte, eine Fotografie von Nixon, der ihm während einer Feierlichkeit im Rose Garden die Hand schüttelte. Nixon grinste und entblößte dabei weiße Schneidezähne, und mit einer Hand hielt er Baedeckers Ellbogen im selben Vertretergriff wie Ackroyd am Flughafen.
    »Eigentlich ist es nicht ihre Schuld«, knurrte Ackroyd.
    »Die Firma Caterpillar ist schuld, weil sie sich so sehr darauf verlassen haben, daß sie ihnen viel verkaufen würden. Nachdem Carter nach Afghanistan oder was um alles in der Welt auch immer den Ausfuhrstop für schwere Maschinen verhängt hat, ging alles bergab. Caterpillar, GE, sogar Papst. Alle wurden eine Zeitlang auf Eis gelegt. Jetzt ist es wieder besser.«
    »Oh«, sagte Baedecker. Sein Kopf tat weh. Er spürte immer noch die Bewegung des Flugzeugs, als es sich über dem Fluß schräg gelegt hatte. Wenn er heute schon nicht fliegen konnte, hätte er sich wenigstens gewünscht, er könnte ein Auto fahren, um die Krämpfe aus Armen und Beinen zu vertreiben, die darauf brannten, etwas zu steuern. Er machte die Augen zu.
    »Möchten Sie den langen oder den kurzen Weg fahren?« fragte der dicke Mann am Lenkrad.
    »Den langen Weg«, sagte Baedecker, ohne die Augen aufzumachen. »Immer den langen Weg.«
    Ackroyd nahm gehorsam die nächste Ausfahrt der I-74 und fuhr in die euklidische Geometrie von Maisfeldern und Landstraßen hinab.
     
    Baedecker döste möglicherweise ein paar Minuten. Er schlug die Augen auf, als das Auto an einer Kreuzung hielt. Grüne Schilder nannten Richtung und Entfernung nach Princeville, Galesburg, Elmwood und Kewanee. Glen Oak wurde nicht einmal erwähnt. Ackroyd bog links ab. Die Straße war ein Korridor zwischen Vorhängen aus Mais. Dunkle Nähte von Teer und Asphalt zogen sich über die Straße und lieferten einen rhythmischen Unterton zu der Klimaanlage. Die sanfte Vibration hatte etwas Hypnotisierendes an sich, wie beim Reiten.
    »Ins Herz des Herzens des Landes«, sagte Baedecker.
    »Hmmm?«
    Baedecker richtete sich auf und stellte überrascht fest, daß er laut gesprochen hatte. »Ein Ausdruck, den ein Schriftsteller William Gaddis, glaube ich einmal benutzt hat, um diesen Teil des Landes zu beschreiben. Er fällt mir manchmal ein, wenn ich an Glen Oak denke.«
    »Oh.« Ackroyd rutschte unbehaglich hin und her. Baedecker wurde erschrocken klar, daß er den Mann nervös gemacht hatte. Ackroyd war davon ausgegangen, daß sie zwei Männer waren, zwei gestandene Männer, und dazu paßte die Erwähnung eines Schriftstellers nicht. Baedekker lächelte, als er an die Seminare dachte, die die verschiedenen Streitkräfte ihren Testpiloten vor den ersten

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