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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Sie ohnedies in diese Richtung, Freund. Erfüllen Sie Ihre patriotische Pflicht, Dick. Ich lasse Teresa einen Brief schreiben, daß Sie kommen.«
    »Wir werden sehen«, sagte Baedecker.
     
    Baedecker flog am Nachmittag des 7. August, einem Freitag, nach Peoria. Die Ozark DC-9 hatte kaum Zeit, auf zweieinhalbtausend Meter Höhe zu gehen und dem meandernden Lauf des Illinois River zu folgen, da mußten sie auch schon wieder zur Landung ansetzen. Der Flughafen war so winzig und menschenleer, daß Baedekker kurz an die Asphaltlandebahn am Rand des indischen Dschungels denken mußte, wo er vor einigen Wochen in Khajuraho gelandet war. Dann stieg er die Treppe hinunter, überquerte den heißen Teerbelag und wurde überschwenglich von einem feisten Mann mit rosigem Gesicht begrüßt, den er noch nie zuvor gesehen hatte.
    Baedecker stöhnte innerlich. Er hatte vorgehabt, ein Auto zu mieten, die Nacht in Peoria zu verbringen und am Morgen nach Glen Oak zu fahren. Unterwegs hätte er noch gerne am Friedhof angehalten.
    »Mr. Baedecker! Mr. Baedecker! Herrgott, willkommen, willkommen. Wir freun uns so, Sie zu sehn.« Der Mann war allein. Baedecker mußte die alte schwarze Reisetasche fallen lassen, als der Fremde seine Hand und den Unterarm zu einem zweihändigen Gruß packte. »Tut mir wirklich leid, daß wir keinen besseren Empfang zustande gebracht haben, aber wir erfuhren erst durch den Anruf bei Marge, daß Sie heute schon eintreffen würden.«
    »Das macht doch nichts«, sagte Baedecker. Er zog die Hand zurück und fügte unnötigerweise hinzu: »Ich bin Richard Baedecker.«
    »O ja, Herrgott. Ich bin Bill Ackroyd. Bürgermeisterin Seaton wäre selbst gekommen, aber sie muß heute abend das Fischerfest der Old Settlers' Jaycees eröffnen.«
    »Glen Oak hat eine Bürgermeisterin?« Baedecker nahm die Reisetasche wieder auf die Schulter und wischte sich eine Schweißperle von der Wange. Hitzeflimmem stieg rings um sie herum auf und verwandelte die fernen Mauern des Laubs und den halb sichtbaren Parkplatz in flimmernde Trugbilder. Die Luftfeuchtigkeit war so wie in St. Louis. Baedecker betrachtete den großen Mann neben sich. Bill Ackroyd war Ende Vierzig oder Anfang Fünfzig. Er hatte Übergewicht; der Rücken seines J. C. Penney-Hemds war bereits naßgeschwitzt. Das Haar trug er nach vorn gekämmt, um zunehmende Kahlheit zu verbergen. Er siect aus wie iJc dachte Baedecker und verspürte Ärger in sich erblühen. Ackroyd grinste, und Baedecker lächelte zurück.
    Baedecker folgte ihm durch die winzige Schalterhalle zu der halbkreisförmigen Zufahrt, wo Ackroyd seinen Wagen auf einem Behindertenparkplatz abgestellt hatte. Der Mann sprudelte einen liebenswürdigen Strom belangloser Konversation aus sich heraus, der, in Verbindung mit der Hitze, eine nicht unangenehme Übelkeit in Baedecker auslöste. Ackroyd fuhr einen Bonneville. Der Motor war die ganze Zeit gelaufen, die Klimaanlage lief auf Hochtouren und erzeugte eine ungesunde Kälte im Wageninneren. Baedecker ließ sich seufzend auf die Samtschonbezüge sinken, während der andere Mann sein Gepäck im Kofferraum verstaute.
    »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, was das für uns alle bedeutet«, sagte Ackroyd, während er sich setzte. »Die ganze Stadt ist aufgeregt. Das ist das Größte für Glen Oak, seit Jesse James durch die Stadt kam und am Hartley's Pond sein Lager aufgeschlagen hat.« Ackroyd lachte und legte den Gang ein. Seine Hände waren so groß, daß Lenkrad und Schalthebel wie Spielzeuge darin aussahen. Baedecker stellte sich vor, daß Ackroyd von Einwohnern des Mittelwestens abstammte, die mit so großen, groben Händen Banditen aufgeknüpft hatten.
    »Ich wußte nicht, daß Jesse James' Bande je durch Glen Oak gekommen ist«, sagte Baedecker.
    »Wahrscheinlich auch nicht«, sagte Ackroyd und lachte sein polterndes, natürliches Lachen. »Damit wären Sie dann das Aufregendste, das uns je widerfahren ist.«
     
    Peoria sah aus, als wäre es verlassen oder ausgebombt worden. Oder beides. Staub und tote Fliegen lagen in den Schaufenstern. Aus Ritzen im Straßenbelag wuchs Gras, Unkraut gedieh auf dem ungepflegten Mittelstreifen. Alte Häuser neigten sich einander zu, und die wenigen neuen Gebäude sahen aus wie zu groß geratene Druidenaltäre inmitten von dem Erdboden gleichgemachten Gesteinstrümmern.
    »Mein Gott«, murmelte Baedecker, »ich kann mich nicht erinnern, daß die Stadt so ausgesehen hat.« Eigentlich konnte sich Baedecker überhaupt kaum noch an

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