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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Bürgerkrieg, drei im Zweiten Weltkrieg, keiner in Vietnam. Baedecker las die vierzehn Namen, die unter Korea aufgelistet waren, aber sein Name stand nicht dabei. Er kannte keinen der anderen, obwohl er mit einigen zur Schule gegangen sein mußte. Die Vietnam-Plakette war kaum verwittert und nur zu einem Drittel vollgeschrieben. Sie bot noch Platz für künftige Kriege.
    Auf der anderen Straßenseite war eine Farmersfamilie aus einem Pritschenwagen ausgestiegen und sah ins Schaufenster von Helman's Variety Store. Baedecker konnte sich noch erinnern, wie das Geschäft Jensen's Dry Goods geheißen hatte, ein langes, dunkles Gebäude, in dem sich Ventilatoren langsam viereinhalb Meter über staubigen Holzböden drehten. Die Familie war aufgeregt, deutete mit den Fingern und lachte. Nun ließen sich mehr Menschen auf den Gehwegen sehen. Irgendwo in der Nähe, aber nicht direkt zu sehen, fing eine Kapelle an zu spielen, verstummte unvermittelt, begann erneut und hörte wieder mitten im Beckenschlag auf.
    Baedecker setzte sich auf eine Parkbank. Seine Schultern schmerzten unter der Last der Dinge. Er machte wieder die Augen zu und versuchte, das häufig beschworene Gefühl eines hüpfenden Laufs über eine gleißende, pockennarbige Ebene zu empfinden: das Licht, das eine Korona um Daves weißen Anzug und sein PLSPack warf, die Schwerkraft ein schwächerer Widersacher, jede Bewegung so anmutig und mühelos, als schwebe man auf Zehenspitzen über den Grund einer sonnigen Lagune.
    Das Gefühl von Leichtigkeit stellte sich nicht ein. Baedecker schlug die Augen auf und betrachtete blinzelnd die polarisierte Klarheit der Welt.
     
    Die Old Settlers-Parade setzte sich fünfzehn Minuten später als planmäßig vorgesehen in Bewegung. Die Marschkapelle der High School ging voraus, gefolgt von mehreren Reihen nicht näher benannter Reitern, dann folgten fünf selbstgeschmückte Wagen, die Abordnungen der FF A, 4-H, Pfadfinder (Creve Coeur Council), der historischen Gesellschaft des County und des Jubilee Gun Club repräsentierten. Im Anschluß an die Wagen folgte die Kapelle der Junior High School, bestehend aus neun Kindern, dann ein Kontingent der American Legion zu Fuß, dann Baedecker. Er fuhr in einem zwanzig Jahre alten weißen Mustang Kabrio. Bürgermeisterin Seaton saß rechts von ihm, Mr. Gibbons oder Gibson links, Bill Ackroyd vorn neben dem Fahrer, einem Teenager. Ackroyd hatte darauf bestanden, daß sich die drei hinten auf die Karosserie setzten und die Füße auf die roten Sitzbezüge stellten. Spruchbänder auf den Seiten des Mustang verkündeten: RICHARD M. BAEDECKER GLEN OAKS GESANDTER AUF DEM MOND. Unter den Buchstaben war mit Leuchtstiften das Wahrzeichen des Einsatzes seiner Crew aufgemalt worden. Die Sonne hinter dem symbolischen Kommandomodul mit Sonnensegeln sah aus wie der Eidotter, den Ackroyd heute morgen so begeistert aufgetunkt hatte.
    Die Parade kam beim Park von der West Fifth Street und marschierte stolz die Hauptstraße entlang. Der grünweiße Plymouth von Sheriff Meehan machte den Weg frei. Menschen drängten sich auf den hohen, dreischichtigen Gehwegen, die dazu geschaffen schienen, Paraden zuzusehen. Kleine amerikanische Flaggen waren allerorten zu sehen, und Baedecker stellte fest, daß zwischen zwei Laternenpfosten ein Transparent über die Straße hing: GLEN OAK FEIERT RICHARD M. BAEDECKERTAG OLD SETTLERS-PARADE PREISSCHIESSEN DES JUBILEE GUN CLUB, SAMST., 8. AUG.
    Die Kapelle der High School bog an der Second Street links ab und einen Block östlich beim Schulhof wieder links. Kinder, die auf dem Galgengebilde aus Holz spielten, winkten und johlten. Ein Junge machte eine Pistole mit der Hand und begann zu schießen. Ohne zu zögern, deutete Baedecker mit dem Finger und schoß zurück. Der Junge hielt sich die Brust, verdrehte die Augen in den Kopf, machte einen Salto von seinem Balken und landete eineinhalb Meter tiefer auf dem Rücken im Sandkasten.
    Sie bogen an der Fifth Street rechts ab, nur einen Block von ihrem Ausgangspunkt entfernt, und wandten sich nach Osten. Baedecker bemerkte ein kleines weißes Gebäude zur Rechten und war sicher, daß es sich dabei einmal um die Bibliothek gehandelt haben mußte. Er erinnerte sich an den heißen Dachbodengeruch des kleinen Raums an Sommertagen und an das verhaltene Stirnrunzeln der Bibliothekarin, wenn er zum achten, zehnten oder fünfzehnten Mal Jocn Carter vom Mars auslieh.
    Die Fifth Street war so breit, daß die Parade hindurchziehen und

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