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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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warfen Schatten auf die Gehwege. Große alte Häuser standen eine gute Strekke von den Gehwegen entfernt, und deren Obergeschosse wurden nach wie vor von sanft raschelndem Laub behütet. Aber die gigantischen Ulmen von Baedeckers Kindheit waren nicht mehr da. Er fragte sich, ob Menschen, die überall im Land zu ehemaligen Wohnsitzen in Kleinstädten zurückgekehrt waren, dieser Verlust auch aufgefallen war. Es war etwas, das, wie der Geruch brennenden Laubes im Herbst, durch sein Fehlen an seiner Generation nagte.
    Die Fledermäuse tanzten und kreisten vor einem violetten Himmel. Einige wenige Sterne hatte sich doch sehen lassen. Baedecker betrat einen Schulhof, der einen ganzen Block beanspruchte. Die hohe, alte Grundschule, deren vernagelter Dachfirst ein Zuhause für die Vorfahren dieser nächtlichen Schar von Fledermäusen gewesen sein durfte, war schon lange abgerissen worden und einer Ansammlung Kasten aus Backstein und Glas gewichen, welche sich am Fuß eines größeren Kastens aus Backstein und Glas drängten, der wiederum den größten Teil des quadratischen Blocks für sich beanspruchte. Baedecker vermutete, daß es sich bei dem größeren Kasten um die Turnhalle der Gesamtschule handelte. Zu seiner Zeit hatte die Grundschule keine eigene Turnhalle besessen; wenn sie eine brauchten, gingen sie zu Fuß zu der zwei Blocks entfernten High School. Baedecker erinnerte sich der alten Schule als Mittelpunkt einer zwei Morgen großen Rasenfläche mit einem halben Dutzend Baseballfelder und zwei Spielplätzen einem für Kleinkinder und einem mit der hohen, dreistufigen Rutschbahn für die höheren Klassen. Jetzt beanspruchten die flachen Gebäude und die monströse Turnhalle fast den gesamten Platz für sich. Bäume gab es keine. Die Spielplätze beschränkten sich auf einen Streifen Asphalt und ein palisadenähnliches Gebilde inmitten einer Sandfläche. Baedecker ging hin und setzte sich auf eine der untersten Ebenen des Dings. Er mußte an einen schlecht entworfenen Galgen denken.
    Auf der gegenüberliegenden Straßenseite konnte er sein altes Haus erkennen. Selbst im spärlichen Licht der Dämmerung sah er, daß wenig daran verändert worden war. Licht fiel aus den Panoramafenstern auf beiden Stockwerken. Anstelle der alten Verschalung sah er nun eine Verkleidung. Eine Garage und eine asphaltierte Zufahrt waren angebaut worden, wo sich einst die alte Schottereinfahrt zum Garten gewunden hatte. Baedecker vermutete, daß die Scheune nicht mehr hinter dem Haus stehen würde. Beim Gehweg wuchs eine hohe Birke, die früher nicht dagewesen war. Baedecker kramte eine Zeitlang in seiner Erinnerung und versuchte vergeblich, sich einen Schößling an der Stelle vorzustellen. Dann ging ihm auf, daß sie nachdem er fortgezogen war, gepflanzt worden sein konnte, und der Baum wäre immer noch vierzig Jahre alt.
    Baedecker verspürte keine Nostalgie, lediglich ein schwaches Schwindelgefühl des Staunens, daß so eine uralte Hülle aus Stein und Brettern in einem so fremden Teil der Welt einmal das Zuhause eines Jungen gewesen sein sollte, der sich als Mittelpunkt des Universums gefühlt hatte. In einem der Zimmer im ersten Stock wurde das Licht eingeschaltet. Baedecker konnte fast seine alte Tapete sehen, auf der Klipper in endlos wiederholte Quadrate aus Tau eingesperrt waren, jede Ecke von unmöglichen Seemannsknoten kompliziert. Er erinnerte sich, wie er in fiebrigen Nächten wach lag und immer wieder vergeblich versuchte, diese Knoten im Geiste zu entwirren. Und er erinnerte sich an die hängende Glühbirne an ihrer Kordel, den gelben Sarg von einem Schrank in der Ecke und die riesige Rand McNally-Weltkarte an der Wand neben der Tür, wo der ernste Junge nächtens bunte Stecknadeln von einer unaussprechlichen Pazifikinsel zur nächsten gesteckt hatte.
    Baedecker schüttelte den Kopf, stand auf und ging nach Norden, weg von Schule und Haus. Die Nacht war endgültig herein gebrochen, aber die Sterne verbargen sich hinter tiefhängenden Wolken. Baedecker sah nicht noch einmal hoch.
     
    »He, Dick, wie war es? Die alte Heimat besucht?« rief Ackroyd, als Baedecker über den Rasen zum Haus des Mannes ging. Das Paar saß auf einer kleinen, abgeschirmten Veranda zwischen Haus und Garage. »Ja. Es kühlt ziemlich angenehm ab, was?«
    »Haben Sie jemanden getroffen, den Sie kennen?«
    »Die Straßen waren ziemlich verlassen«, sagte Baedekker.
    »Ich konnte die Lichter der Old Settlers jedenfalls vermute ich, daß es die Old

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