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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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trotzdem noch zwei Spuren Verkehr links vorbeifahren konnten. Es herrschte kein Verkehr. Baedekker spürte wieder das Fehlen der großen Ulmen, besonders jetzt, wo die Sonne auf das geschmückte Pflaster herab brannte. Kleine chinesische Ulmen wuchsen bei den grasbewachsenen Drainagekanälen, aber die wirkten im Vergleich zu der grotesk breiten Straße, den riesigen Rasenflächen und gewaltigen Häusern winzig und unscheinbar. Menschen saßen auf Veranden und Gartenstühlen und winkten. Kinder und Hunde liefen neben den Pferden her und sprangen vor der Kapelle hin und her. Hinter Baedeckers Mustang hatte sich eine formlose Prozession von Fahrrädern, Kindern mit Wagen und einigen fröhlichen Zuschauern, die Rasenmäher fuhren, gebildet und fügte der Parade einen fünfzehn Meter langen Rattenschwanz hinzu.
    Das Auto des Sheriffs bog auf der Catton Street rechts ab. Sie kamen wieder am Schulhof vorbei. Vor Baedekkers früherem Haus mähte ein Mann ohne Hemd, dem der Bauch über die Shorts hing, den Rasen. Er sah auf, als die Parade vorüberzog, und winkte mit zwei Fingern einen Salut zu Baedeckers Mustang. Drei uralte Leutchen saßen auf der schattigen Veranda, wo Baedecker einst Pirat gespielt und eine Angriffswelle japanischer Banzai nach der anderen abgewehrt hatte.
    Zwei Blocks nach Baedeckers altem Haus passierte die Parade die High School und bewegte sich auf eine Mauer aus Mais zu. Die Kapelle schwenkte nach links auf die Landstraße und führte die Prozession um die High School herum zu einem viele Morgen großen offenen Feld, wo der Old Settlers-Jahrmarkt aufgebaut worden war. Jenseits des Parkplatzes standen ein halbes Dutzend große Zelte, doppelt so viele Buden und verschiedene Jahrmarktkarussels, die reglos in der Mittagssonne harrten. Das hohe, braune Gras des Feldes war abfallübersät und von den Menschenmassen der Nacht zuvor niedergetrampelt worden. Weiter nördlich lagen die Baseballfelder, die bereits von bunt gekleideten Spielern bevölkert und von johlenden Zuschauern bedrängt wurden. Noch weiter nördlich, fast an der Stelle, wo der Garten von Baedeckers Haus an die Felder angrenzte, bildeten Gruppen von Feuerwehrautos rot-grüne Winkel im Gras.
    Die Kapellen hörten auf zu spielen, und die Parade löste sich auf. Das Jahrmarktsgelände war so gut wie verlassen, wenige Leute beobachteten, wie die Mitglieder der Kapellen und die Pferde durcheinanderliefen. Baedecker blieb noch einen Moment sitzen.
    »Nun«, sagte Bürgermeisterin Seaton, »das war doch ein Riesenspaß, oder nicht?«
    Baedecker nickte und sah auf. Metall und Polster des Autos waren sehr heiß. Die Sonne hatte den Zenit fast erreicht. Über dem Horizont konnte man gerade noch die blasse Scheibe des Dreiviertelmonds am wolkenlosen Himmel erkennen.
     
    »Dickie!«
    Baedecker sah vom Tisch auf, wo er mit den anderen Bier trank. Die Frau, die dort stand, war grobschlächtig und in mittleren Jahren, mit kurzem, blondem Haar. Sie trug eine bedruckte Bluse und Stretchhosen, die sich den maximalen Ausdehnungswerten des Herstellers näherten. Baedecker kannte sie nicht. Das Licht im Zelt der American Legion war düster, ein weiches Sepia. Die warme Luft roch nach Segeltuch. Baedecker stand auf.
    »Dickie!« wiederholte die Frau, kam näher und nahm seine freie Hand in ihre beiden. »Wie geht es dir?«
    »Gut«, sagte Baedecker. »Und Ihnen?«
    »Oh, einfach prima, einfach prima. Du siehst wunderrar aus, Dickie, aber was ist mit deinem Haar passiert? Ich kann mich noch erinnern, daß du einmal einen diJcten Schöpf rotes Haar gehabt hast.«
    Baedecker lächelte und strich sich unbewußt mit der Hand über die Kopfhaut. Die Männer, mit denen er sich unterhalten hatte, wandten sich wieder ihrem Bier zu.
    Die Frau hielt die Hand vor den Mund und kicherte.
    »Herrje, du erinnerst dich nicht an mich, oder?«
    »Ich habe ein schreckliches Namensgedächtnis«, gestand Baedecker.
    »Ich habe mir gedacht, zumindest an Sandy würdest du dich erinnern«, sagte die Frau und schlug verspielt nach Baedeckers Handgelenk. »Sandy Serrel. Wir waren die besten Freunde. Weißt du nicht mehr, Donna Lou Herford und ich sind in der vierten und fünften Klasse immer mit dir und Mickey Farrell und Kevin Gordon und Jimmy Haines herumgezogen.«
    »Aber natürlich«, sagte Baedecker und schüttelte ihr noch einmal die Hand. Er konnte sich ganz und gar nicht an sie erinnern. »Wie geht es dir?«
    »Dickie, das hier ist mein Mann Arthur. Arthur, das hier ist mein

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