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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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hier«, sagte Gavin und deutete auf eine grüne Fläche auf der Karte. »Nur ein paar Meilen südlich von Paß nd Hochebene. Wenn wir den Berg bestiegen haben, marschieren wir los, nehmen auf dem Weg nach Norden das andere Auto mit und machen uns auf den Heimweg.«
    Maggie studierte die Karte. »Dieser Lagerplatz läge hoch«, sagte sie. »Über dreitausenddreihundert Meter. Und er scheint ziemlich ungeschützt zu sein, wenn das Wetter schlechter wird.«
    Gavin schüttelte den Kopf. »Ich habe mich gestern beim Wetterdienst erkundigt, und die Chance, daß es vor Montag hier regnet, liegt nur bei fünfzehn Prozent. Außerdem werden wir jede Menge geschützte Stellen finden, wenn wir uns dem südlichen Kamm hier nähern.«
    Maggie nickte, schien aber nicht zufrieden zu sein.
    »Ich frage mich, was die Gruppe mit dem Hanggleiter wohl macht«, sagte Baedecker. Er sah den Canyon hinauf, konnte aber niemanden auf den wenigen zwischen den Bäumen sichtbaren Wegabschnitten erkennen. Das Sonnenlicht wanderte an der westlichen Felswand zu ihrer Rechten herab und entblößte Schichten rosa Gesteins wie Muskeln und Gewebe, die sich unter einem Skalpell auftun.
    »Wenn sie einen Funken Verstand haben, sind sie umgekehrt und nach Norden zurück, Richtung Cimarron«, sagte Gavin. »Kommt, packen wir zusammen.«
    »Was ist mit Tommy?« fragte Maggie.
    »Er wird in ein paar Minuten mit Deedee nachkommen«, sagte Gavin.
    »Glaubst du, er ist dazu imstande?« fragte Baedecker.
    »Laut Karte geht es die nächsten zehn Meilen nur bergauf.«
    »Er wird dazu imstande sein«, sagte Gavin, in dessen Stimme nicht der geringste Zweifel mitschwang.
    Nach der reinen Hölle der ersten Stunde war es gar nicht mehr so schlimm.
    Obwohl Lebensmittel verzehrt worden waren, schien der Rucksack schwerer zu sein als am Tag zuvor. Das Tal wurde immer schmaler, ebenso der Pfad, der sich parallel zum Bachbett durch den Canyon wand. Hier und da mußten die rei wegen eines Erdrutschs oder umgestürzten Baums vorsichtig zwanzig Meter über dem Wasser auf einem steilen Felshang oder Gras balancieren. Zuerst war Baedecker überzeugt, daß die Gruppe mit dem Hanggleiter unmöglich hier entlang gegangen sein konnte, aber dann fielen ihm Stiefelabdrücke im weichen Boden und Furchen im Schlamm auf, wo das Gestänge gezogen worden war. Baedecker schüttelte den Kopf und ging weiter.
    Um neun Uhr brannte direktes Sonnenlicht auf die Felsen und erfüllte die Luft mit dem Duft von erwärmten Pinien und Fichten. Baedecker schwitzte in Strömen. Er wollte Rast machen und statt der Jeans ein paar Shorts anziehen, fürchtete aber, er würde die beiden anderen nie mehr einholen, wenn er zurückblieb. Von Deedee und Tom Jr. war auf dem Weg hinter ihnen keine Spur zu sehen, aber Deedee hatte einen fröhlichen Eindruck gemacht, als sie das Lager abgebrochen und sich verabschiedet hatten. Tom Gavin ruhte sich nie richtig aus, sondern blieb immer nur kurz stehen, trat von einem Fuß auf den anderen, sah mit verkniffenen Augen den Weg vor ihnen entlang und sagte dann nur: »Fertig?«, worauf er sich wieder in Bewegung setzte, ohne Maggies oder Baedeckers Antwort abzuwarten.
    Nach der ersten Stunde war es nicht mehr so schlimm. Nach der zweiten Stunde war Baedecker in einen Rhythmus von Schmerzen und Keuchen verfallen, der erträglich zu sein schien. Kurz vor Mittag kamen sie um einen Felsvorsprung herum, dort wurden zwei Gipfel in der Ferne sichtbar, wo trotz des gerade vergangenen heißen Sommers noch Schneekappen lagen. Gavin bezeichnete den stufenförmigen, flachen Gipfel als Uncompahgre, den spitzeren als das Wetterhorn. Einen dritten Gipfel konnte man über der Kammlinie gerade noch erkennen.
    »Uncompahgre sieht aus wie eine Hochzeitstorte, das ›Wetterhorn‹ sieht ein bißchen wie das Matterhorn aus, und das ›Matterhorn‹ hat nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem echten Matterhorn«, sagte Gavin.
    »Kapiert«, sagte Baedecker.
    Sie schritten weiter an Nadeln aus rotem Fels und Wasserfällen vorbei den zunehmend schlechteren Pfad entlang. An manchen Stellen standen die Douglasfichten fünfundzwanzig Meter hoch und erhoben sich über jedes Gelände, das flach genug für sie war. Die drei kamen durch einen dichten Hain von Goldkiefern, und Maggie ließ sie alle an den Bäumen schnuppern und erklärte ihnen, daß das Harz der Goldkiefer wie Karamelbonbons roch. Baedecker fand eine frische Narbe, roch an dem Harz und verkündete, es würde eindeutig nach Schokolade

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