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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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in den zwei Jahren danach, die wir zusammenarbeiteten, nie ganz vergessen oder vergeben. Anfangs dachte ich, es läge nur daran, daß Dave unser Training versaut und Toms perfektes Führungszeugnis gefährdet hatte. Aber dann wurde mir klar, daß es mehr war. Dave hatte die Regeln verletzt, und darüber kam Tom nie richtig hinweg. Und dann war da noch etwas ...«
    »Und das wäre?« fragte Maggie.
    Baedecker beugte sich nach vorne und flüsterte: »Nun, ich glaube, Tom hatte sich wirklich darauf gefreut, diese verdammte Eidechse zu essen, und Dave hat ihm den Spaß verdorben.«
     
    Deedee und Tom tauchten auf, als Baedecker und Maggie gerade den Fluß überqueren wollten, und die vier wateten gemeinsam hinüber. Tommy sah blaß und leicht geknickt aus, blieb aber so mürrisch wie bisher. Dafür war Deedee fröhlich für beide. Der Fluß war nie mehr als knietief, aber die Strömung schnell und das Wasser eiskalt. Baedecker wartete, bis die anderen drüben waren, dann löste er das Seil vom östlichen Ufer und nahm es mit.
    Fünfundvierzig Minuten später kamen sie an einen Wasserfall, überquerten den Bach noch einmal dieses Mal auf einem umgestürzten Baumstamm und stiegen wenig später in Serpentinen ein. Der Gipfel des ›Matterhorns‹ ragte über ihnen auf, und jedesmal, wenn sie Rast machten, konnten sie mehr vom Uncompahgre Peak im Südwesten sehen. Sie hatten sich dem Berg mittlerweile auf wenige Meilen genähert, und Baedecker wurde allmählich klar, wie gewaltig das Massiv tatsächlich war. Es erinnerte ihn an die gewaltigen Hochebenen und Gipfel, die er in New Mexico und Arizona gesehen hatte, aber dieses hier war steiler, spitzer und erhob sich nicht über der Wüste, sondern über einer Hochebene in dreitausenddreihundert Metern Höhe.
    Am Nachmittag hatten sie die letzten Serpentinen hinter sich gelassen und gelangten auf die hohe Tundra. Die Veränderungen waren erstaunlich. Die dichten Pinienwälder des Tals wichen einigen uralten und verkrüppelten Fichten, häufig bis zu dem Punkt verwittert, daß sie keine Zweige mehr an den westlich und nördlich ausgerichteten Seiten hatten, schließlich dann hohen Stauden Wacholder, und selbst diese verschwanden allmählich, bis nur noch Gras und rotbrauner Stechginster die felsige Tundra bedeckten. Für Baedecker, der über den letzten Kamm nach dem Canyon kam, war es, als würde er von der obersten Sprosse einer Leiter auf das Dach eines hohen Gebäudes steigen.
    Von dem hohen Paß, den sie jetzt überquerten, konnte Baedecker Dutzende größere und kleinere Berggipfel und ein scheinbar endloses Panorama von Pässen, Graten, Hochwiesen und sanft rollender Tundra erkennen. Schneebedeckte Flächen überzogen die Landschaft. Über ihnen erstreckten sich flauschige Kumuluswolken bis zum zerklüfteten Horizont, und das Weiß auf Blau oben verschmolz fast mit dem Weiß auf Braun unten.
    Baedecker machte eine Pause, keuchte, spürte Sturzbäche Schweiß auf sich und stellte fest, daß seine Lungen nach wie vor mehr Sauerstoff verlangten, als zur Verfügung stand. »Fantastisch«, sagte er.
    Maggie grinste. Sie nahm ein rotes Taschentuch, das sie als Stirnband benutzt hatte, aus der Tasche und wischte sich damit das Gesicht ab. Sie berührte Baedekker am Arm und deutete nach Nordosten, wo mehrere Kuppen entfernt Schafe auf einer rollenden Hochwiese grasten. Die grauen Leiber vermischten sich mit den Wolken und Schneefeldern und Wolkenschatten und verliehen dem ganzen Panorama einen Hauch scheckiger Regsamkeit.
    »Fantastisch«, sagte Baedecker noch einmal. Das Herz klopfte ihm in der Brust. Ihm war, als hätte er einen dunklen Teil von sich in den Schatten des Canyon zurückgelassen. Maggie reichte ihm die Wasserflasche. Er spürte beim Trinken, wie ihr Arm den seinen berührte.
    Tommy hockte sich auf einen Felsen und stocherte mit seinem Spazierstock in einem Klumpen Moos und Lichtnelke. Deedee lächelte und sah sich um. »Da ist Tom«, sagte sie und deutete auf eine winzige Gestalt weit entfernt auf der anderen Seite des Passes. »Sieht so aus, als würde er bereits das Zelt aufbauen.«
    »Das ist wunderbar«, sagte Baedecker leise zu sich. Aus unerfindlichen Gründen fühlte er sich beschwingt in der kühlen, dünnen Luft. Er gab Maggie die Wasserflasche, und sie trank in vollen Zügen, wobei sie den Kopf zurückwarf, so daß sich das Sonnenlicht auf ihren kurzen, kastanienfarbenen Locken spiegelte.
    Maggie hielt Deedee die Wasserflasche hin, aber die ältere Frau

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