In der Südsee. Zweiter Band
in eine kulinarische Frage dreinzureden, war mehr als ich mir hatte träumen lassen, und ich folgerte daraus – ob mit Recht oder Unrecht, weiß ich nicht – daß er in höchstem Maße zurückhaltend wäre, wenn es sieh darum handelte, in das Privatleben einzugreifen oder an den Gewohnheiten seiner Sklaven zu rühren. Also besitzt selbst hier, im Herzen des Despotismus, die öffentliche Meinung noch Gewicht; selbst in dieser Hochburg der Sklaverei hat die Freiheit einen Winkel gefunden.
Ordentlich, nüchtern und unschuldig – wie auf einer Musterpflanzung unter der Leitung eines Musterpflanzers – so fließt Tag für Tag das Leben auf der Insel hin. Unmöglich kann man an dem wohltuenden Einfluß dieser strengen Herrschaft zweifeln. Eine sonderbare Geschmeidigkeit, ein weiches, anmutiges Benehmen, etwas Weibisches und Höfisches zeichnet die Insulaner von Apemama aus. Diese Eigenschaften bildeten das Gesprächsthema sämtlicher Händler und wurden selbst von so unbeliebten Besuchern, wie wir es waren, empfunden,ja, sie traten sogar an unserem Koch, und zwar in seinen unverschämtesten Minuten, hervor. Der König stand mit seiner männlichen, schlichten Haltung ganz allein da; man kann ihn als den einzigen Gilbert-Insulaner auf Apemama bezeichnen. Gewalttätigkeit, die in Butaritari heimisch ist, kommt hier nicht vor, ebensowenig Diebstahl und Trunkenheit. Man versichert mir, man habe das Experiment gemacht, Goldstücke am Strande vor dem Dorfe liegen zu lassen: sie blieben dort liegen. Während unseres ganzen Aufenthaltes auf der Insel bin ich nur ein einziges Mal um Alkohol angegangen worden, und zwar von einem höchst eindrucksvollen Burschen, der europäische Kleidung trug und ausgezeichnet englisch sprach – Tamaiti war sein Name oder – in der europäischen Korrumpierung – »Tom White«. Er war einer der Superkargos des Königs und erhielt drei Pfund den Monat und Prozente, außerdem war er noch Arzt und im Privatleben ein Zauberer. Dieser Mann traf mich eines Tages an der Grenze des Dorfes an einem einsamen, heißen Ort, an dem die Tarogräben tief und die Pflanzen hoch sind. Hier hielt er mich am Knopfloch fest, blickte sich wie ein Verschwörer nach allen Seiten um und fragte mich, ob ich Gin hätte.
Ich bejahte die Frage. Er bemerkte, Gin wäre verboten, lobte eine Welle das Verbot und fuhr dann fort, mir auseinanderzusetzen, daß er ein Doktor sei – er sprach das Wort »dogstar« aus – daß Gin für seine medizinischen Tränklein unentbehrlich wäre, und daß er mir sehr dankbar sein würde, wenn ich ihm etwas in einer Flasche mitgäbe. Ich sagte ihm darauf, daß ich demKönig mein Wort verpfändet hätte, daß ich aber, da ja der Fall eine Ausnahme bilde, sofort zum Palast gehen würde, wo, wie ich nicht zweifelte, Tembinok mir die Erlaubnis erteilen wurde. Sofort geriet Tom White vor Verlegenheit und Furcht außer sich, flehte mich in den herzbewegendsten Ausdrücken an, ihn doch ja nicht zu verraten und floh meine Gegenwart. Er besaß nichts von dem Mut, der den Koch beseelte; Wochen gingen vorüber, ehe er mir gerade ins Auge zu sehen wagte, und auch dann erschien er nur auf Befehl des Königs in besonderen Angelegenheiten.
Je mehr ich von dieser strengen Herrschaft zu sehen bekam, je mehr ich sie bewunderte, um so heftiger verfolgte mich das Problem, das für uns vielleicht schon morgen aktuell werden konnte. Hier lebte ein Volk, das vor jedem ernsten Unglück bewahrt war, dem man alle schlimmen Sorgen abgenommen, gleichzeitig aber auch jede Freiheit geraubt hatte. War es wirklich zufrieden? Und welches waren seine Gefühle seinem Herrscher gegenüber? Die erste Frage konnte ich natürlich an niemanden richten, und die Eingeborenen hätten sie vielleicht auch gar nicht zu beantworten gewußt. Selbst die zweite war schon etwas delikat; doch fand ich endlich unter seltsamen, reizenden Umständen eine Gelegenheit, jemanden auszukundschaften und eine Antwort zu erhalten. Der Mond war beinah voll, und eine köstliche Brise wehte; die Insel war hell erleuchtet – wie am Tage – zu schlafen wäre ein Sakrileg gewesen, und ich wanderte, meine Flöte blasend, im Busch umher. Es muß wohl der Klang dessen gewesen sein, was ich euphemistisch alsMusik bezeichne, der noch einen anderen Wanderer in meiner Richtung in die Nacht herauslockte. Es war ein junger Mann in einer feingeflochtenen Matte mit einem Kranz im Haar, der eben erst von Tanz und Gesang im Sprechhaus kam; Körper, Gesicht und Augen
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