In der Südsee
durch Soho in London ging und, angewidert von dem, was ich sah, den Appetit verlor.
Fünftes Kapitel
Geschichte eines Tabus (Fortsetzung)
Dienstag, den 16. Juli. Es regnete in der Nacht plötzlich und laut nach Gilbertinselart. Vor Tagesanbruch weckte mich ein Hahnenschrei, und ich wanderte über unser Gelände auf die Straße. Das Unwetter war vorüber, der Mond schien in unvergleichlichem Glanz, die Luft lag totenstill wie in einem geschlossenen Raum, und doch hallte die ganze Insel wider, als wenn starke Regenschauer niedergingen. Es plätscherte in Strömen von den Dächern, und in längeren Zwischenräumen fielen Tropfen laut hörbar von den hohen Palmen. In diesem starken Licht der Nacht lag das Innere der Häuser unkenntlich wie eine schwarze Masse, wenn der Mond nicht unter das Dach glitt, seine Silberstreifen zog und schräge Säulenschatten auf den Boden warf. Nirgends in der Stadt sah man Lampen oder glühende Asche, kein Mensch rührte sich, ich glaubte, ich sei allein wach, aber die Polizei tat treulich ihre Pflicht, wachte insgeheim und zählte die Stunden. Ein wenig später schlug der Wächter langsam und mehrere Male die Glocke der Kathedrale: vier Uhr, der Weckruf. Sonderbar, daß in einer Stadt, die sich der Trunkenheit und dem Aufruhr ergeben hatte, dieAbend- und Morgenglocke noch ertönte und beachtet wurde.
Der Morgen kam und brachte wenig Veränderung. Der Ort lag noch still da, das Volk schlief, die Stadt schlief. Selbst diejenigen, die wach waren, meistens Frauen und Kinder, hielten Ruhe und blieben unter dem dunklen Schatten der Strohhütte, so daß man stehenbleiben und angestrengt hinsehen mußte, um sie zu erkennen. Durch die einsamen Straßen und vorbei an den schlafenden Häusern zog in früher Stunde eine Deputation zum Palast, der König wurde plötzlich geweckt und mußte, wahrscheinlich mit Kopfschmerzen, unangenehmen Wahrheiten lauschen. Mrs. Rick, die die schwierige Landessprache genügend beherrschte, war die Sprecherin, sie erklärte dem kranken Monarchen, daß ich ein intimer persönlicher Freund der Königin Viktoria sei, daß ich ihr sofort nach meiner Rückkehr Bericht erstatten würde über Butaritari und daß, wenn mein Haus noch einmal von Eingeborenen überfallen würde, ein Kriegsschiff abgeschickt werde, um Repressalien zu ergreifen. Das waren nun kaum Tatsachen, sondern gerechtfertigte und notwendige Umschreibungen, zugeschnitten auf unseren Breitengrad, und sie machten sichtlich Eindruck auf den König. Er war sehr betroffen und sagte, er habe wohl gehört, ich sei ein Mann von einiger Bedeutung, aber er habe sich nicht träumen lassen, daß es so schlimm stehe. Und so wurde das Haus des Missionars bei einer Strafe von fünfzig Dollar mit dem Tabu belegt.
Das erzählte man uns nach der Rückkehr der Deputation, nichts weiter, und ich schloß daraus, daß sich viel mehr zugetragen hatte. Der erlangte Schutz warwillkommen; es war höchst lästig und die unangenehmste Aufregung des gestrigen Tages gewesen, daß sich unser Haus von Zeit zu Zeit mit betrunkenen Eingeborenen füllte, zwanzig oder dreißig zu gleicher Zeit, die um Alkohol baten, unser Eigentum betasteten, schwer wieder loszuwerden waren, und mit denen man sich nicht gern herumstritt. Der Freund der Königin Viktoria, der bald zu ihrem Sohn erhoben werden sollte, war gegen alle Belästigungen geschützt. Nicht nur mein Haus, sondern auch die Nachbarschaft wurde in Ruhe gelassen, selbst auf unseren Spaziergängen wurden wir bewacht, man räumte uns alles Unangenehme aus dem Wege, und wir sahen nur Schönes, wie Leute, die ein Krankenhaus besuchen. Ungefähr acht Tage lang ließ man uns so aus und ein gehen und wie in einem Narrenparadies leben, indem man uns glauben machte, der König habe sein Wort gehalten, das Tabu sei wieder aufgerichtet und die Insel wieder nüchtern.
Dienstag, den 23. Juli. Wir aßen in einer offenen Drahtumzäunung, die für den vierten Juli errichtet worden war, zu Mittag, und hier pflegten wir auch bei Lampenlicht, Kaffee und Tabak auszuruhen. In diesen Zonen senkt sich der Abend herab ohne fühlbare Abkühlung, der Wind legt sich vor Sonnenuntergang, der Himmel erglüht eine Weile, wird blasser und dunkelt zu der Bläue der tropischen Nacht herab. Rasch und unmerkbar verstärken sich die Schatten, die Sterne vervielfachen sich, man blickt um sich, und der Tag ist vorüber. Dann pflegte unser chinesischer Koch quer über den Platz herbeizukommen in einem Strahlenkranz von Licht,
Weitere Kostenlose Bücher