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In die Wildnis

In die Wildnis

Titel: In die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Krakauer
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verstanden. Er hat sich an den gleichen Sachen gestört wie ich, und hat die gleichen Fragen gestellt. Ich hab ihn wirklich gemocht. Er war ein echt prima Typ.«
    McCandless nahm sich die Ungerechtigkeiten in dieser Welt sehr zu Herzen. In seinem letzten Jahr auf Woodson wurde er zu einem fanatischen Gegner der Apartheidpolitik in Südafrika. Er sprach in allem Ernst zu seinen Freunden davon, Waffen in das Land zu schmuggeln und den Kampf gegen die Rassendiskriminierung anzutreten. »Wir haben uns darüber öfters hitzige Debatten geliefert«, weiß Hathaway noch. »Chris war nicht der Typ, der sich gerne in geregelten Bahnen bewegte oder der versucht hätte, von innen heraus etwas zu verändern und zu warten, bis er mit seinen Ideen an der Reihe war. Er sagte einfach: ›Komm schon, Eric, wir können genug Geld auftreiben und auf eigene Faust nach Südafrika gehen, jetzt gleich. Wir müssen es einfach nur wirklich wollen, das ist alles.‹ Ich hab ihm dann widersprochen und gemeint, daß wir ja nur ein paar Schuljungen sind, die dort drüben wirklich nicht viel ausrichten können. Aber man durfte sich mit ihm auf keine Diskussion einlassen. Er kam einem dann gleich mit so was wie: ›Ach so, dir ist anscheinend völlig egal, was richtig ist und was falsch.‹«
    Während seine High - School - Freunde sich an den Wochenenden auf Bierpartys in irgendeinem sturmfreien Elternhaus herumtrieben oder versuchten, in die Bars von Georgetown eingelassen zu werden, wanderte McCandless in den Elendsvierteln von Washington umher und unterhielt sich mit Prostituierten und Obdachlosen. Er kaufte ihnen etwas zu essen und machte ihnen ernsthafte Vorschläge, wie sie ihr Leben ändern könnten.
    »Chris konnte einfach nicht fassen, wie es möglich war, daß Menschen Hunger litten, schon gar nicht in diesem Land«, meinte Billie. »Er konnte über solche Sachen stundenlange Vorträge halten.«
    Einmal machte Chris Nägel mit Köpfen und führte einen obdachlosen Mann von den Straßen der Hauptstadt ins grüne, wohlhabende Annandale. Er brachte ihn heimlich in dem Airstream - Wohnwagen unter, den seine Eltern neben der Garage stehen hatten. Walt und Billie erfuhren nie, daß ein Stadtstreicher bei ihnen zu Gast war.
    Ein anderes Mal fuhr Chris zu dem Haus der Hathaways und verkündete groß, daß man den Abend in der Innenstadt verbringen würde. »Klasse!« dachte Hathaway und erinnert sich heute noch. »Es war Freitagabend, und ich hab gedacht, wir gehen nach Georgetown und machen einen drauf. Statt dessen parkte Chris den Wagen in der Vierzehnten Straße, was damals ein richtiges Elendsviertel war. Dann sagte er: ›Weißt du, Eric, man kann ja über diese Sachen lesen, aber verstehen tut man's erst, wenn man's erlebt. Und genau das werden wir heute abend tun.‹ Die nächsten paar Stunden verbrachten wir in ziemlich üblen Läden und unterhielten uns mit Zuhältern und Nutten und total fertigen Gestalten. Ich hatte richtig Schiß.
    Als der Abend zu Ende ging, fragte Chris mich, wieviel Geld ich hätte. Fünf Dollar, sagte ich. Er hatte zehn. ›O.k., du bezahlst das Benzin‹, sagte er zu mir. ›Ich werde was zu essen kaufen.‹ Und dann hat er den Zehner für eine ganze Tüte voller Hamburger ausgegeben, und wir sind durch die Gegend gegondelt und haben sie an so versiffte Typen verteilt, die auf Kanaldeckeln schliefen. Es war der seltsamste Freitagabend meines Lebens. Aber Chris hat so was häufig gemacht.«
    Zu Beginn seines letzten Jahres auf Woodson teilte Chris seinen Eltern mit, daß er nicht die Absicht hätte, zu studieren. Als Walt und Billie ihm klarzumachen versuchten, daß er einen Uni - Abschluß brauche, um eine befriedigende Karriere einschlagen zu können, meinte Chris nur, daß Karriere eine »entwürdigende Erfindung des zwanzigsten Jahrhunderts« sei, etwas, das eher eine Belastung für die Menschen war, als daß es ihnen half, ihr Leben zu gestalten. Er könne sehr gut ohne sie auskommen, danke.
    »Das hat uns sehr beunruhigt«, gesteht Walt. »Billie und ich stammen beide aus kleinen Verhältnissen. Ein Universitätsabschluß ist nichts, das wir auf die leichte Schulter nehmen, verstehen Sie, und wir haben hart gearbeitet, um unsere Kinder auf gute Schulen zu schicken. Billie hat sich also mit ihm hingesetzt und gesagt: ›Chris, wenn du in dieser Welt etwas ausrichten willst, wenn du Menschen, die keine Chance haben, helfen willst, verschaff dir erst mal die Mittel dazu. Geh auf die Universität, werde

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