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In die Wildnis

In die Wildnis

Titel: In die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Krakauer
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Küchenrenovierungsarbeiten an Land zu ziehen. Und er war erstaunlich erfolgreich, ein Verkaufstalent, das seinesgleichen suchte. Nach wenigen Monaten arbeitete ein halbes Dutzend anderer Schüler für ihn, und er konnte siebentausend Dollar auf sein Sparkonto legen. Mit einem Teil des Geldes kaufte er den gelben Datsun, den gebrauchten B210.
    Chris' Verkaufstalent war so ausgeprägt, daß Walt im Frühling '86, als die Abschlußprüfungen der High School näherrückten, einen Anruf des Besitzers der Baufirma erhielt. Er bot Walt an, Chris das Studium zu finanzieren, wenn Walt seinen Sohn dazu überreden könnte, in Ananndale zu bleiben und während des Studiums weiterzuarbeiten, statt an die Emory zu gehen und den Job aufzugeben.
    »Als ich Chris von dem Angebot erzählte«, sagt Walt, »hat er kategorisch abgelehnt. Er hat seinem Boß gesagt, daß er andere Pläne hat.« Sobald er die High - School beendet habe, verkündete Chris, werde er sich hinter das Steuer seines neuen Wagens setzen und den Sommer über das Land durchqueren. Niemand ahnte, daß die Reise nur der Anfang einer ganzen Serie von transkontinentalen Abenteuern sein würde. Genausowenig konnte irgend jemand in der Familie voraussehen, daß eine zufällige Entdeckung während dieser Jungfernreise Chris endgültig sich von den anderen abwenden lassen und nach innen kehren würde - eine Entdeckung, die Chris und die, die ihn liebten, in einen Sumpf aus Wut, Mißverständnissen und Sorgen ziehen würde.

Annandale

    KAPITEL ZWÖLF
    Lieber als Liebe, als Geld, als Ruhm gebt mir Wahrheit. Ich saß an einem Tische, wo feine Weine und Speisen in Überfluß vorhanden waren, wo man mich sorgsam bediente, wo es aber keine Aufrichtigkeit und Wahrheit gab. Hungrig verließ ich ihren ungastlichen Tisch. Die Gastfreundschaft war so kalt wie das Gefrorene.
    HENRY DAVID THOREAU,
 »WALDEN. EIN LEBEN IN DEN WÄLDERN«
    Von Chris McCandless angestrichener Passus aus
 einem der mit der Leiche geborgenen Bücher.
 McCandless hatte an den oberen Rand der Seite das Wort
 »Wahrheit« in großen Druckbuchstaben geschrieben.
      
    Denn Kinder sind unschuldig und lieben die Gerechtigkeit, während die meisten von uns verderbt sind und natürlich der Gnade den Vorzug geben.
    G. K. CHESTERTON
      
      
    Als Chris an jenem schwülen Frühlingswochenende im Jahr 1986 die Woodson - High - School abschloß, schmissen Walt und Billie für ihn eine Party. Walt hatte wenige Tage später, am 10. Juni, Geburtstag, und während der Party überreichte Chris seinem Vater ein Geschenk: ein sehr wertvolles Teleskop von Questar.
    »Ich weiß noch, wie ich dasaß, als er Dad das Fernrohr gab«, erzählt Carine. »Chris hatte ein paar Drinks gekippt und ganz schön einen sitzen. Er ist richtig sentimental geworden. Er hat mit den Tränen gekämpft und gesagt, daß sie zwar in den letzten Jahren so ihre Schwierigkeiten miteinander gehabt hätten, aber daß er ihm für alles, was er für ihn getan hat, dankbar ist. Er hat Dad gesagt, wie sehr er ihn dafür bewundert, daß er bei null angefangen und ein ganzes Studium hinter sich gebracht hat und sich dann den Arsch aufgerissen hat, um acht Kinder zu ernähren. Es war eine bewegende Rede. Alle waren total gerührt. Und dann ist Chris auf seine große Reise gegangen.«
    Walt und Billie versuchten nicht, Chris von seinen Reiseplänen abzubringen. Sie überredeten ihn allerdings, für alle Fälle Walts Texaco - Kreditkarte mitzunehmen, und rangen ihm das Versprechen ab, alle drei Tage anzurufen.
    »Die ganze Zeit seiner Abwesenheit haben wir Blut und Wasser geschwitzt«, sagt Walt, »aber wir hätten ihn nicht davon abhalten können, zu fahren.«
    Von Virginia aus fuhr er nach Süden, dann weiter nach Westen durch die flache texanische Prärie. Von dort aus durchquerte er die Hitze New Mexicos und Arizonas und erreichte schließlich die Pazifikküste. Anfänglich hielt er sich sogar an die Abmachung mit seinen Eltern, regelmäßig anzurufen, doch im Laufe des Sommers wurden die Anrufe immer spärlicher. Erst zwei Tage vor Beginn des Herbstsemesters der Emory University kehrte er nach Hause zurück. Als er das Haus in Annandale betrat, hatte er einen ungepflegten Bart, langes, zottiges Haar und war um dreißig Pfund abgemagert.
    »Als ich hörte, daß er wieder da ist«, erzählt Carine, »rannte ich gleich in sein Zimmer, um mit ihm zu reden. Er lag auf seinem Bett und schlief. Er war so dünn. Er sah aus wie mit Jesus am Kreuz in diesen

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