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In die Wildnis

In die Wildnis

Titel: In die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Krakauer
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begleitet. Er war richtig gut.« Und das war er wirklich. In einem Blödel - Video, das Chris auf dem College aufgenommen hatte, hört man ihn Songs wie »Summers by the Sea« und »Sailboats in Capri« schmettern. Er singt mit eindrucksvollem Elan, und seine schmachtende Stimme steht einem professionellen Pianobarsänger in nichts nach.
    Als talentierter Hornist war er in seiner Jugendzeit Mitglied der American University Symphony, schied aber früh aus, weil ihn, wie Walt meint, ein paar Vorschriften störten, die der Dirigent erlassen hatte. Carine weiß aber, daß da noch mehr dahintersteckte. »Natürlich, er mochte es nicht, wenn jemand ihm sagte, was er zu tun hatte, aber das war nur der eine Grund. Der andere war ich. Ich wollte immer wie Chris sein, also hab ich auch angefangen, Waldhorn zu spielen. Und wie sich herausstellte, war es das einzige, das ich besser konnte als er. In meinem ersten High - School - Jahr wurde ich gleich als erste Hornistin ins Oberstufen - Orchester aufgenommen. Chris war in seinem letzten Jahr, und nichts hätte ihn dazu gebracht, sich hinter seine verdammte Schwester zu setzen.«
    Ihr Wetteifern auf musikalischem Gebiet scheint das Verhältnis zwischen Chris und seiner Schwester jedoch keineswegs gestört zu haben. Von Kindesbeinen an waren sie eine verschworene Gemeinschaft. Damals hatten sie oft im Wohnzimmer von Annandale miteinander gespielt und stundenlang Westernforts aus Kissen und Decken gebaut. »Er war immer sehr lieb zu mir«, weiß Carine noch, »und hat mich immer beschützt. Wenn wir die Straße hinuntergegangen sind, hat er mich an die Hand genommen. Als er dann auf die High - School kam und ich immer noch zur Grundschule ging, hatte er früher Schluß als ich. Aber er ist dann einfach zu Brian Paskowitz, seinem Freund, gegangen und hat so lange gewartet, bis wir zusammen nach Hause gehen konnten.«
    Chris erbte Billies engelhafte Gesichtszüge, vor allem ihre dunklen Augen, in denen sich all seine Gefühle widerspiegelten. Obwohl von kleinem Wuchs - auf Schulfotos ist er immer in der ersten Reihe zu finden, der Kleinste der Klasse - war Chris für seine Größe kräftig und in seinen Bewegungen sehr gewandt. Er probierte eine ganze Reihe von Sportarten aus, hatte letztendlich aber nicht die Geduld, sich in technische Feinheiten hineinzuknien. Wenn die Familie in Colorado auf Skiurlaub war, machte Chris sich so gut wie nie die Mühe, auch einmal in Slalomschwüngen hinabzufahren. Statt dessen ging er in die »Gorillahocke«, spreizte die Beine, um sich einen besseren Halt zu verschaffen, und fuhr einfach im Schuß den Berg hinunter. »Beim Golf spielen war's ähnlich«, weiß Walt zu erzählen. »Als ich versuchte, es ihm beizubringen, weigerte er sich, die Tatsache zu akzeptieren, daß Schlagtechnik alles ist. Chris stellte sich einfach hin und holte jedesmal zu einem gigantischen Schlag aus. Manchmal schoß er den Ball dreihundert Meter weit, aber oft genug drehte der Ball einfach nur auf den nächsten Fairway ab.
    Chris hatte so vielfältige Begabungen«, fährt Walt fort, »aber wenn man versuchte, ihn mit ins Training zu nehmen, sein Können zu verfeinern, das entscheidende gewisse Etwas aus ihm herauszukitzeln, stieß man auf eine Wand. Er hat sich nichts sagen lassen, nie, sofort regte sich bei ihm der Widerstand. Ich spiele leidenschaftlich gern Racketball und habe es Chris beigebracht, als er elf war. Mit fünfzehn oder sechzehn war er so gut, daß er fast immer gegen mich gewann. Er war unglaublich flink und hatte einen harten Schlag. Als ich ihn aber mal auf einige Schwachstellen in seinem Spiel hinwies, an denen er arbeiten sollte, hat er sich taub gestellt. In einem Turnier traf er einmal auf einen fünfundvierzigjährigen, sehr erfahrenen Spieler. Chris lag gleich zu Anfang mit ein paar Punkten vorne, aber in Wirklichkeit testete sein Gegner ihn nur, suchte nach Schwachstellen. Sobald er heraushatte, welcher Schlag Chris die größten Schwierigkeiten bereitete, war das der einzige Schlag, den Chris von da an zu sehen bekam, und das war's dann.«
    Feinheiten, Strategie und alles, was über Grundtechniken hinausging, waren bei Chris verlorene Liebesmüh. Es gab für ihn nur eine Art, eine Herausforderung anzugehen, und zwar direkt und frontal, mit der ganzen Wucht seiner erstaunlichen Energie. Klar, daß er dabei oft enttäuscht und frustriert zurückblieb. Erst als er sich dem Langstreckenlauf widmete, einer Sportart, in der Wille und Entschlossenheit

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