In die Wildnis
stärker belohnt werden als Geschick oder Cleverness, fand er seine athletische Berufung. Mit zehn lief er sein erstes Rennen, einen Zehn - Kilometer - Straßenlauf. Er wurde Neunundsechzigster und ließ damit mehr als tausend Erwachsene hinter sich. Seither hatte der Langstreckenlauf ihn in seinem Bann, und schon ein paar Jahre später sollte er zu den besten Läufern der Region zählen.
Als Chris zwölf war, kauften Walt und Billie Carine einen kleinen Welpen, einen Shetland - Collie, den sie Buckley nannten. Chris machte es sich zur Gewohnheit, den Hund auf seine täglichen Trainingsläufe mitzunehmen. »Buckley sollte ja eigentlich mein Hund sein«, sagt Carine, »aber er und Chris wurden unzertrennlich. Buck war schnell und er kam immer als erster zu Hause an, wenn sie laufen gingen. Ich weiß noch heute, wie aufgeregt Chris war, als er es das erste Mal vor Buckley nach Hause schaffte. Er ist kreuz und quer durchs Haus gejagt und rief immer wieder: ›Ich habe Buck geschlagen! Ich habe Buck geschlagen!‹«
An der W.T.Woodson High School - einer großen, staatlichen Schule in Fairfax, Virginia, die für ihre hohen schulischen Anforderungen und erfolgreichen Leichtathletik - Teams bekannt ist - war Chris Kapitän der Dauerlauf - Mannschaft. Er genoß seine Position und ersann ständig neue, strapaziöse Trainingseinheiten, die seine Kameraden im Team immer noch gut in Erinnerung haben.
»Chris mußte immer das letzte aus sich herausholen«, meint Gordon Cucullu, ein jüngeres Teammitglied. »Er hatte sich dieses Trainingsprogramm ausgedacht, das er ›Road Warriors‹ nannte: Er führte uns auf lange, selbstmörderische Läufe durch Felder und Baustellen, Orte, an denen wir wirklich nichts zu suchen hatten, und dann hat er es so gemacht, daß wir uns verirrten. Wir sind so weit und so schnell gelaufen, wie wir konnten, über die seltsamsten Straße und Wege, durch Wälder, was auch immer. Es ging darum, daß wir die Orientierung verlieren sollten, in unbekanntes Terrain vorstoßen sollten. Dann haben wir das Tempo etwas verlangsamt, bis wir auf eine Straße kamen, die wir kannten, und sind dann wieder volle Pulle heimgelaufen. In gewisser Hinsicht hat Chris sein ganzes Leben so gelebt.«
McCandless sah im Langstreckenlauf eine intensive, spirituelle Übung, die einer religiösen Erfahrung nahekam. »Chris hat den spirituellen Aspekt benutzt, um uns zu motivieren«, erinnert sich Eric Hathaway, ein anderes Teammitglied. »Er hat uns gesagt, daß wir an das ganze Böse in der Welt denken sollen, den ganzen Haß. Wir sollten uns vorstellen, gegen die Kräfte der Finsternis oder die Wand des Bösen anzurennen, die uns davon abhalten wollte, Bestzeit zu laufen. Er war der Meinung, daß die eigene Leistung allein von der mentalen Einstellung abhing und daß es nur darum ging, soviel von seinen Ressourcen zu mobilisieren wie möglich. Wir waren damals junge High - School - Kids und leicht zu beeindrucken, und solche Sätze haben uns natürlich vom Hocker gehauen.«
Aber Langstreckenlaufen war nicht ausschließlich eine spirituelle Angelegenheit. Es war auch ein Wettkampf. Wenn Chris McCandless lief, lief er, um zu gewinnen.
»Chris hat das Laufen wirklich ernst genommen«, meint Kris Maxie Gillmer, eine der Frauen im Team, die wohl seine beste Freundin auf Woodson war. »Ich weiß noch, wie ich an der Ziellinie stand und ihm bei einem Rennen zusah. Ich wußte, er wollte unbedingt gut abschneiden und würde total enttäuscht sein, wenn es nicht klappte. Nach einem schlechten Rennen oder auch nur nach einer schlechten Laufzeit bei Übungswettkämpfen hat er sich die schlimmsten Vorwürfe gemacht. Und er hat auch nicht darüber reden wollen. Wenn ich versucht hab, ihn zu trösten, war er verärgert und hat mich ziemlich rüde angemacht. Er hat seine Enttäuschung nur mit sich selbst ausgemacht, sich in irgendeine Ecke verkrochen und gelitten.
Chris hat nicht nur das Laufen so ernst genommen«, fügt Gillmer hinzu. »Er war mit allem so. In der High-School denkt man ja im allgemeinen nicht an Leistungsgrenzen und solche Sachen. Aber ich schon, und er auch, deshalb haben wir uns so gut verstanden. Wir sind in den Pausen bei seinem Spind rumgehangen und haben über das Leben, die Probleme in der Welt geredet, ganz ernsthafte Sachen. Ich bin schwarz, und ich habe mein Lebtag nicht verstanden, warum alle so ein Riesentheater um die Hautfarbe machen. Mit Chris konnte ich über solche Sachen reden. Er hat so was
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