In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)
sie sich kaum noch; stattdessen lieferten sie sich häufiger bissige Wortwechsel, ohne dass ich hätte sagen können, wann oder warum das angefangen hatte.
»Hmpf«, gab Matt prompt verstimmt zur Antwort und nahm das nächste Buch zur Hand.
»Ich glaub, ich hab hier was«, murmelte Abby, die aus ihren schwarzen Sneakers geschlüpft war und sich mit untergezogenen Beinen in den Ledersessel gesetzt hatte. Ich hatte ein bisschen gebraucht, um zu kapieren, weshalb Abby heute so anders aussah: zu einem übergroßen anthrazitgrauen Strickpulli mit Rollkragen trug sie nagelneu wirkende Jeans – in Tintenblau. Den Finger auf die entsprechende Stelle der Buchseite gelegt, erwiderte sie schüchtern unsere aufmerksamen Blicke. »Es gibt da eine Gespenstergeschichte aus dem England des neunzehnten Jahrhunderts. Ein junger Adeliger hatte beim Glücksspiel einen Landsitz gewonnen, und nachdem er dort eingezogen war, erschien ihm jede Nacht der Geist einer bildschönen Lady, in die er sich unsterblich verliebte.« Matts Schnauben überging sie einfach; nur die Röte, die auf ihren Wangen aufflammte, verriet, dass sie es gehört hatte. »Natürlich konnten die beiden nicht wirklich zusammenkommen, aber in einer Nacht ereignete sich dann doch das Unmögliche, und sie konnten … na ja. Es tun.« Abbys ganzes Gesicht leuchtete feuerrot.
»Und dann?«, knurrte Matt gereizt dazwischen.
Abby holte tief Luft. »Nach dieser Nacht wurde der Adelige immer blasser und schwächer. Kein Arzt wusste, was ihm fehlte oder konnte ihm helfen, und schließlich starb er. Als Geist ging er dann selbst auf seinem Landsitz um, immer auf der Suche nach seiner Lady, die aber verschwunden war und die er niemals mehr fand.«
Beklommen sahen wir uns alle gegenseitig an und mir wurde übel vor Angst.
»Ganz toll, wirklich«, grummelte Matt. »Mit dieser ollen Kamelle machst du uns allen so richtig Mut – ganz besonders Amber! Super, Abby, echt!«
Abby ließ den Kopf sinken, sodass ihr die langen Haare vors Gesicht fielen, und verkroch sich förmlich hinter dem Buch in ihrem Schoß.
»Na ja«, begann Holly nachdenklich, lehnte sich im Schreibtischstuhl zurück und wuschelte sich durch ihre lilafarbenen Haare. »Immerhin hätten wir damit schon mal einen Hinweis darauf, dass so etwas schon mal passiert ist. Solche ollen Kamellen «, unter einer hochgezogenen Braue warf sie Matt einen süffisanten Blick zu, »haben meistens einen wahren Kern. Und vielleicht finden wir noch die eine oder andere ganz ähnliche Geschichte, wenn wir gründlich genug suchen.« Energisch klappte sie das Buch auf ihren Knien zu und pfefferte es auf den Schreibtisch, wo es Teds Unterlagen in gefährliche Schieflage brachte, bevor sie aufstand und auf Abby zumarschierte. »Zeig mir das bitte mal kurz … Oh!« Abrupt blieb sie stehen, die Augen auf die Vitrine hinter Abby geheftet. »Ooohh«, wiederholte sie lang gezogen und seufzend, beinahe sehnsüchtig. »Oooohh – darf ich?« Ohne meine Antwort abzuwarten, zog sie die Glastür auf, griff in die Vitrine hinein und holte das Figürchen einer gesichtslosen Frau mit dickem Bauch und riesigem Busen heraus. »Die Venus von Willendorf«, hauchte sie beinahe ehrfürchtig, drehte die winzige Statue zwischen den Fingern und betrachtete sie von allen Seiten.
»Das ist eine Nachbildung, glaube ich«, bemerkte ich; viel wusste ich nicht über die Gegenstände in den Vitrinen.
»Natürlich ist sie das!«, erwiderte Holly mit einem Auflachen. »Das Original ist einzigartig und von unschätzbarem Wert. Aber trotzdem …« Ihr Blick bekam etwas Verklärtes, als sie leiser hinzufügte. » Das Symbol für Fruchtbarkeit und Weiblichkeit. – Ist dein Dad etwa Feminist?« Es klang, als fragte sie danach, ob Ted einer bestimmten politischen Partei angehörte oder Fan einer ganz besonderen Independent-Band wäre.
»Keine Ahnung, woher soll ich das wissen?«, gab ich schnippisch zurück; mein Leben stand gerade auf dem Spiel, und Holly hatte nichts Besseres zu tun, als neugierig Teds Vitrinen zu durchforsten, nur weil es sie gerade interessierte. »Stell sie bitte wieder rein.«
»Oh. Oh. Ohh«, kiekste Holly stattdessen heiser und mit weit aufgerissenen Augen und holte sich auch noch eines der Amulette heraus. »Oh, schau mal!«
»Leg das bitte zurück!« Ich ärgerte mich tierisch über Holly; es war schon großzügig genug von Ted, dass wir seine Bücher benutzen durften. Dann auch noch in seinen Sachen herumzuwühlen, fand ich ziemlich
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