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In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

Titel: In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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Eingangshalle stand, durch die Matt den Lichtstrahl des iPhones wandern ließ. Immer wieder glitten als helle, durch den Nebel verschleierte Bänder die Scheinwerfer der vorbeifahrenden Autos durch den Raum. Ich blinzelte, als ich unter dem Fenster gegenüber die Umrisse einer Gestalt erkennen konnte, die am Boden lag. Nathaniel.
    Mit einem Mal kümmerte es mich nicht mehr, was er zu Lebzeiten getan hatte; für mich zählte nur noch, wie er zu mir gewesen war. Was wir miteinander gehabt hatten und was er mir bedeutete.
    Ich ließ meinen Rucksack von der Schulter gleiten und zu Boden fallen, taumelte vorwärts durch die Halle und ließ mich neben ihn auf meine türkisblaue Decke fallen, auf der er zusammengekrümmt lag. Ein eigenartiges perlmuttfarbenes Leuchten ging von ihm aus, und im Dämmerlicht glaubte ich zu sehen, wie sich an den Schultern und den Hüften seine Konturen verwischten.
    »Nathaniel«, schluchzte ich auf und strich über seinen Arm, der unter meinen Händen nur noch ein schwacher Luftstrom war. »Nathaniel.«
    Seine Augen öffneten sich mühsam; mattschwarz waren sie und glänzten dann auf, als er mich erkannte. Am-berrr.
    »Ja«, hauchte ich und versuchte mich an einem Lächeln, das elend schief geriet. »Ich bin’s.«
    Nathaniels Blick wanderte an mir vorbei zu den anderen, die vorsichtig näher gekommen waren. Zu Abby, die sich ängstlich an Holly klammerte, während diese in meine Richtung blinzelte, und zu Shane, der die Arme um die beiden gelegt hatte. Doch auf Nathaniels Gesicht zeichnete sich kein Wiedererkennen ab.
    Sein Blick irrte hin und her, bis er schließlich an Matt hängen blieb, der vom Lichtkegel des iPhones in seiner Hand in dämonische Schatten getaucht war. Nathaniels Augen kniffen sich angestrengt zusammen. »Tut … tut mir … unendlich … leid … Damals … ich hätte nicht … Ent… ent… schuldige … ich …«
    Matts Gesicht zog sich zusammen, als wollte er gleich Gift und Galle spucken, entspannte sich dann aber wieder, als er genau wie ich begriff, dass Nathaniel nicht ganz bei sich war und ihn für den Chinesen hielt, den er auf dem Gewissen hatte.
    »Besser spät als nie«, erwiderte er rau, aber ich konnte hören, wie nahe es ihm ging.
    »Nathaniel«, wisperte ich, und seine Augen huschten suchend umher, bis sie mich gefunden hatten. »Wir sind uns nicht sicher … Aber wir glauben, du bist in diesem Haus gestorben. Du bist damals hier eingebrochen und wurdest von einem Polizisten erschossen.«
    Sein Blick flackerte und er begann mit den Zähnen zu klappern. »N-nein. Un… mög… lich. N-nie … hier.«
    »Doch, Nathaniel. Am 16. Juli 1878.«
    Ein Funke entzündete sich in seinen Augen und sofort brannte es darin lichterloh. »Nein! Niemals!«, grollte er mit gebleckten Zähnen wie ein geifernder Hund, der mich sofort anfallen wollte.
    »Bitte, Nathaniel, versuch dich zu erinnern! Der 16. Juli 1878. Am späten Abend. Hier, in diesem Haus.«
    Tief aus ihm polterte ein dröhnendes Knurren herauf, und ich sog scharf die Luft ein, als meine Hände mit ihm zu verschmelzen schienen. Es war, als würde ich in ihn hineinfließen. Ein heißer Strom jagte durch meine Adern hindurch und in meinem Kopf begann es zu kreiseln.
    Sie war zurückgekommen. Sie war wirklich zurückgekommen.
    Jetzt wusste ich auch wieder, warum ich mich bei Amber so wohlfühlte. Wenn sie bei mir war, war es genau wie früher, wenn ich irgendwo am Ufer saß und auf die Bay hinausschaute. Allein, ohne die Jungs. Wenn mir der Wind die Haare aus der Stirn blies und ich den Möwen zusah und den Schiffen, die draußen auf dem Wasser kreuzten, und ich mich frei und leicht fühlte.
    Wie an jenem Sommertag damals, kurz nach der Sache in Chinatown, als meine Fingerknöchel noch purpurn verfärbt waren von den Faustschlägen, die ich ausgeteilt hatte. Ich empfand keine Reue damals, noch nicht einmal Gewissensbisse. Aber um ein Haar wären wir geschnappt worden, und das war es, was mir zu schaffen machte. Ich war neunzehn, fast zwanzig, und ich hatte kein Verlangen danach, meine nächsten Jahre im Kittchen zu verbringen oder ein Messer zwischen die Rippen zu bekommen. Das war der Kitzel nicht wert, zu den anderen dazuzugehören, zu denen, die in der ganzen Stadt gefürchtet waren. Zu klauen, zu prügeln, zu trinken und ein Mädchen nach dem anderen ins Bett zu kriegen.
    Während ich den Schiffen zusah, die durch die Bay segelten, träumte ich davon, an Bord eines solchen Schiffes abzuhauen und irgendwo auf

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