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In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

Titel: In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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erklärte sie bemüht ruhig; ihre Aufregung war ihr anzumerken. »Aber ich musste immer wieder an das Haus in der Franklin Street denken. Die Freundin von meinem Bruder ist Journalistin und kennt jemanden im Archiv der Oakland Library, der mir geholfen hat, dort die Jahrgänge 1877 und 1878 im Chronicle zu durchstöbern. Und dabei haben wir das da gefunden.« Mit hochgezogenen Brauen sah sie Matt an, der sich neben ihr über den Tisch beugte. »Und – was sagst du dazu, Mister Superhirn?!« Stolz klang sie, aber auch ein bisschen so, als hoffte sie auf etwas Bestimmtes von Matt.
    »Abby«, begann Matt feierlich, grinste aber dabei. »Abby, ich muss schon sagen …« Er verstummte und starrte Abby einfach nur an. Als würde er sie zum ersten Mal bewusst wahrnehmen, Abby mit ihren schwarz getuschten Wimpern, den glossglänzenden Lippen und der Bluse mit schwarz-braun-weißem Blümchenmuster, die ihn herausfordernd ansah. Matt wurde rot, sah schnell weg und schob die Hände tief in die Taschen seiner Baggypants. »Nicht übel«, brummte er vor sich hin.
    »Was meinst du, Amber – könnte das Nathaniel gewesen sein?« In einer Mischung aus Bangigkeit und Hoffnung schaute Abby mich an.
    Ich schluckte und richtete den Blick auf die kopierte Zeitungsseite vor mir, deren Zeilen vor meinen Augen verschwammen; ich musste ein paarmal heftig blinzeln, bevor ich wieder klar sehen konnte, und dann meinen ganzen Mut zusammennehmen, um sie mir durchzulesen.
    Auf frischer Tat ertappt und erschossen. – Auf Bargeld und Wertsachen hatte es offenbar der Täter abgesehen, der in den späten Abendstunden des 16. Juli in das Haus eines angesehenen Bürgers von Nob Hill an der Ecke von Franklin und California Street eindrang. Vom unermüdlichen Arm des Gesetzes gestellt, leistete er bei seiner Verhaftung Widerstand, sodass der Ordnungshüter sich gezwungen sah, das Feuer zu eröffnen. Dabei wurde der Täter so schwer verletzt, dass er noch an Ort und Stelle verstarb. Das Alter des Täters wird auf siebzehn bis einundzwanzig geschätzt; Name und Herkunft sind unbekannt. Ein Zusammenhang mit den seit Wochen andauernden Unruhen, die von den »Hoodlums« genannten Bandenmitgliedern im Gebiet der Barbary Coast ausgehen, ist nicht auszuschließen .
    Als ob der Boden unter mir nachgab, so fühlte es sich an, während ich die Zeilen wieder und wieder las.
    »Ich weiß es nicht«, wisperte ich.
    Obwohl ich in meinem tiefsten Inneren die Antwort kannte.

81
    Die Backsteinkirche der Christian Science im Rücken, stand ich auf dem Gehweg und schaute auf die andere Straßenseite hinüber. Finster und beinahe gespenstisch ragte das alte Haus mit seinen dunklen Fenstern und den verwilderten Bäumen und Sträuchern in dem wattigen Nebel auf, der das Licht der Straßenlaternen und der Ampeln auf der Kreuzung ebenso zerstreute wie das der Scheinwerfer und Rücklichter der vorüberfahrenden Autos und der erleuchteten Fenster der Häuser entlang der Franklin und der California Street.
    Ein ganz ähnlicher Nebeltag war es gewesen, an dem mich das Schicksal zum ersten Mal hierhergeführt hatte, und was ich in diesem Haus gefunden hatte, hatte nicht nur meine Sicht auf das Leben und den Tod und die Dinge dazwischen verändert, sondern auch mich. Ich wusste nicht, ob ich schon bereit dafür war, das aufzugeben, was dieses Haus für mich bedeutete, aber ich wusste, dass ich es mir nicht aussuchen konnte.
    »Du musst das nicht allein durchstehen«, sagte Shane leise neben mir und legte den Arm um mich. »Wir werden die ganze Zeit bei dir bleiben.«
    Ich nickte; ich brauchte nicht den Kopf zu wenden oder mich umzudrehen, um mir sicher zu sein, dass sie bei mir waren. Shane. Abby. Matt. Holly. Die vielleicht zum letzten Mal mit mir hierhergekommen waren.
    »Komm schon, Cutie Pie«, flüsterte mir Letztere zärtlich ins Ohr und rieb mir über den Rücken. »Je länger du es hinauszögerst, desto schlimmer wird es.«
    Ich nickte wieder, atmete tief durch und schob mich zwischen zwei der parkenden Autos hindurch. Mit müden Schritten schleppte ich mich über die Straße. Und wie ein Schatten folgten mir meine Freunde.
    Auch durch das Tor im hohen Eisenzaun hindurch, das Shane für mich aufschieben musste, weil ich nicht mehr die Kraft dazu aufbrachte. Über das Mäuerchen hinweg, durch das hohe, nebelfeuchte Gras und durch die Holztür, die Matt aufdrückte und uns den Weg mit dem Smartphone beleuchtete.
    Mir war flau im Magen, als ich wieder in der dämmrigen

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