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In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

Titel: In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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sie recht gehabt hatten. Dass es einen guten Grund gab, warum Nathaniel als Geist umging. Seine Strafe für die Schuld, die er auf sich geladen und zu Lebzeiten wohl nie bereut hatte. Lange würde ich es nicht mehr hinausschieben können, ihnen davon zu erzählen, das wusste ich.
    »Ein anderes Mal vielleicht«, flüsterte ich und kuschelte mich tiefer in den Sessel.
    »Okay.« Ted spielte nachdenklich an dem schweren Kugelschreiber in Rot und Silber herum, den ich ihm zu seinem Geburtstag im September bei Borders gekauft hatte. »Ich hab mir was überlegt. Was hältst du davon, wenn wir über Weihnachten zusammen nach Deutschland fliegen? Für eine Woche oder so? Deine Großeltern besuchen und Gabi und Heiner. Und du könntest deine Freunde dort wiedersehen.« Vorsichtig sah er zu mir herüber.
    Ich hatte komplett vergessen, dass ich mich bis Weihnachten entscheiden sollte, ob ich hierbleiben oder im neuen Jahr zurück nach Deutschland gehen wollte, um dort bei Oma und Opa zu wohnen. Die Idee, über die Feiertage dorthinzufliegen, fand ich lieb von Ted. Aber ich wusste ja noch nicht einmal, ob es mich Weihnachten noch geben würde, und in meinem Gesicht geriet etwas ins Zittern.
    »Okay«, hauchte ich tonlos.
    Ted sah mich bedrückt an und versuchte sich an einem aufmunternden Lächeln. »Wenn du willst, kannst du gerne zu deinem Geburtstag Freunde einladen und hier eine Party feiern.«
    Auch meinen Geburtstag hatte ich total vergessen; in knapp zwei Wochen würde ich siebzehn werden. Ich starrte vor mich hin. War es wirklich schon fast ein ganzes Jahr her, dass ich meinen Sechzehnten mit Mam und Gabi verbracht hatte? Mit einer kleinen Geburtstagstorte samt ein paar Kerzen waren wir an Mams Bett im Krankenhaus gesessen und in einer ganz seltsamen Stimmung hatte ich meine Geschenke ausgepackt. Gezwungen fröhlich waren wir alle drei gewesen und hatten irgendwie so getan, als könnten wir den Tumor für diesen einen Tag einfach ausblenden, obwohl es Mam schon so schlecht ging und sie schrecklich aussah. Bei der Erinnerung daran wurde mir übel.
    »Mal sehen«, flüsterte ich ausweichend.
    »Okay. Ist ja noch ein bisschen Zeit.« Ted beugte sich dann wieder über seine Arbeit. Halbherzig wirkte er dabei, als sei er nicht ganz bei der Sache, und immer wieder fing ich einen besorgten Blick von ihm auf und ein halb unsicheres, halb aufmunterndes Lächeln.
    Erst nach dem Telefonat mit der kühlen, trockenen, amerikanischen Stimme, die zu meiner unbekannten Oma gehörte, hatte ich so richtig kapiert, dass Ted genauso wenig Familie hatte wie ich. Nur mich, so wie ich nur noch ihn hatte. Während ich zu ihm herüberschaute, erwärmte es sich irgendwo in meinem Bauch, eine Wärme, die sich schnell ausdehnte und in mir heraufschwappte. Mit einem Mal hatte ich das Gefühl, ich müsste ihm etwas sagen, etwas unglaublich Wichtiges, solange noch Zeit dazu war. Etwas, das nicht einfach auszudrücken war. Ich versuchte noch, mir mühsam ein paar Sätze zurechtzulegen, da jagte mir der Gedanke durch den Kopf, wie es wohl für ihn sein würde, wenn ich bald nicht mehr da war. So wie Mam eines Tages nicht mehr da gewesen war.
    Plötzlich hatte ich einen Kloß im Hals, der mir die Stimmbänder verklebte und mich stumm bleiben ließ.

80
    »Ich wusste es!« In Matts dunklen Augen blitzte es auf. »Hab ich’s gesagt oder hab ich’s gesagt?!« Triumphierend sah er uns nacheinander über seinen aufgeklappten Laptop hinweg an, der auf dem Tisch in Hollys Küche stand und auf dem er immer wieder wild herumgetippt hatte. »Ein Hoodlum war er! Einer von diesen üblen Typen, die in Gangs durch die Stadt zogen und auf uns Chinesen losgingen! Kein Wunder, dass ich ihm von Anfang an nicht über den Weg getraut habe!« Zornfunkelnd richtete sich sein Blick auf mich. »Hast du denn überhaupt nicht gemerkt, mit wem du dich da …«
    »Hör auf«, fiel ihm Holly müde ins Wort, griff sich ihre Zigarettenschachtel und schlurfte in ihren weißen Puschel-Hausschuhen zum Fenster. Als sie es öffnete, schwappte sofort ein Schwall kalter, feuchtnebliger Luft in die mollig warme Küche. Seit gestern zeigte das Thermometer für San Francisco ungewöhnlich niedrige Temperaturen an; es war fast so kalt, wie ich den Dezemberanfang aus Deutschland in Erinnerung hatte. Holly zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch geräuschvoll nach draußen. »Wer weiß schon immer so genau, was in anderen Menschen vorgeht. Auch in denen, die man liebt. Als ich

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