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In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

Titel: In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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Kopf weiter und zielte, holte mit dem Fuß aus und kickte den Typ vor mir mit aller Kraft scharf vors Schienbein; ich konnte es förmlich knirschen hören. Er brüllte auf, sein Griff lockerte sich und ich riss mich los.
    Ich spürte den Luftzug von Händen, die nach mir griffen; mit einem Ruck spannte sich meine Jacke an. Mein Ellenbogen schnellte zurück und knallte gegen etwas Hartes; Stoff ratschte, dann stolperte ich vorwärts und begann zu laufen.
    Hinter mir hörte ich Stimmen und schnelle Schritte und ich legte einen Zahn zu. Der Rucksack rüttelte auf meinem Rücken hin und her und schlug mir ins Kreuz und Haarsträhnen klebten mir im feuchten Gesicht. Die Häuser links und rechts verflossen zu verwackelten Schlieren, während ich rannte, so schnell ich konnte. Ich schlug Haken wie ein Hase, bergauf und wieder bergab, in Seitenstraßen hinein und um Hausecken herum, und flog irgendwann über eine breite Straße hinweg; hinter mir kreischten Bremsen, dröhnten empört mehrere Autohupen. Lichter flammten auf und erhellten die Dämmerung. Schon längst wusste ich nicht mehr, ob das Pumpen und Stampfen in meinen Ohren von den drei Typen hinter mir kam oder von meinem eigenen Atem, meinem eigenen Pulsschlag. In meinen Muskeln zog es, in meinen Lungen brannte es wie Feuer, und der Nebel, der sich langsam herabsenkte, biss mich in der Kehle. Ich wusste nicht, wo ich war, wo ich hinlief, aber ich konnte einfach nicht aufhören. Ich konnte nicht stehen bleiben. Runner’s High .
    Ich setzte über eine Straße hinweg und meine Knie gaben nach; mit der Kappe meines Sneakers blieb ich am Bordstein hängen und strauchelte, taumelte weiter vorwärts und prallte schmerzhaft mit den Rippen und einer Wange gegen einen Eisenzaun. Mit schweißnassen Fingern klammerte ich mich an die Streben und rang nach Luft; gehetzt sah ich mich nach allen Seiten um.
    Das rot glühende Auge der Ampel hinter mir starrte mich regungslos an. Im sanften Schein der Straßenlaternen und wohnlich erhellter Fenster lag die Kreuzung verlassen da; dicker Nebel zerstreute das Licht und verschluckte jedes Geräusch außer meinen eigenen flachen, pfeifenden Atemzügen. Vor mir ragte ein Haus in die Höhe, eine finstere Wand, aus der sich zur Laterne hin Türmchen und Giebel und Fenster herausbildeten, halb verborgen hinter Gestrüpp und wuchernden Baumkronen. An einem Pfosten steckte ein großes Schild im Boden und neigte sich windschief in das milchige Licht der Laterne hinein: FOR SALE , stand darauf, darunter eine Telefonnummer.
    Über meinen verschwitzten Nacken rann ein Prickeln und mein Kopf fuhr herum. Ich war nicht allein, das spürte ich, aber ich sah niemanden, hörte nichts. Meine Hand tastete sich weiter über die Streben des Zauns. Erschöpft lehnte ich mich dagegen, und mit einem grellen Quietschen, einem rostigen Knarren gab er nach.
    Erschrocken starrte ich auf das schmiedeeiserne Tor vor mir, das sich ein Stück weit geöffnet hatte.

11
    Ich konnte sie fühlen, noch bevor ich sie hörte oder gar zu Gesicht bekam.
    Ein feines, schnelles Schwingen lag mit einem Mal in der Luft und ließ sie erzittern wie das Sirren eines Mückenschwarms. Stärker wurde es und lauter, wie das aufgeregte Flügelschlagen einer Vogelschar. Ich schloss meine Augen und horchte in die Dunkelheit hinaus. Versuchte, dieses Vibrieren einzuordnen und die Richtung zu bestimmen, aus der es kam. Und dann – dann witterte ich ihre Angst. Beißende, säuerliche Angst, die zu mir herüberströmte und an mich heranflutete.
    Da waren diese fliegenden, aber schon müden Schritte in schnellem Lauf, die mehr und mehr aus dem Takt kamen, dann unter dem Scheppern von Metall abrupt abbrachen. Und ihr Keuchen, ihr angstvolles, verkrampftes, erschöpftes Keuchen. Ich öffnete die Augen.
    Ihr Gesicht leuchtete hell zu mir ans Fenster herauf, während sie es auf der anderen Seite des Zauns hin und her wandte und sich umschaute, ihre Augen riesig vor nackter Furcht und nachtschwarz im Schein der Laterne. Viel mehr konnte ich aus der Entfernung nicht erkennen. Nur dass sie jung war, jünger als ich.
    Ich zögerte, fragte mich, für wen die Gefahr größer war. Für sie oder für mich.
    Im nächsten Moment spürte ich, wie sie sich innerlich abwandte und von mir entfernen wollte. Und ich wusste, dass ich das nicht zulassen konnte.
    »Komm«, raunte ich ihr zu. »Komm her.«
    Komm her zu mir. Ich zeig dir den Weg.

12
    Ich quetschte mich durch das Tor und stemmte mich dagegen, um es

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