In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)
behaupten. Aber netter Versuch.«
Ich schielte zu ihm herauf. Seine Augen glänzten; sein Mund, dieser große, volle Mund zog sich auseinander, und er lächelte. Ein breites, offenes Lächeln, das kurz davor war, in ein Lachen überzugehen.
Die Luft war wie statisch aufgeladen, ich glaubte meine Haare förmlich knistern zu hören. Da war immer noch diese Ahnung von Gefahr, die sich kühl anfühlte und beißend und die mich an den Geruch eines gerade erloschenen Streichholzes erinnerte. Aber woher sie auch kam: sie ging nicht von Nathaniel aus. Vielleicht war es das denkbar Dümmste, vielleicht würde ich es bitter bereuen – aber in diesem Moment war ich mir sicher, dass ich von ihm nichts zu befürchten hatte. In diesem Moment, als ich ihm in die Augen sah, die mit diesem Glanz, mit einem ganz bestimmten Ausdruck darin nilgrün schimmerten.
In meinem Bauch flatterte etwas, flog aufwärts und ließ mein Herz einen Salto schlagen.
23
Lange nachdem sie gegangen war, harrte ich immer noch auf der Treppe aus. Ich konnte meinen Blick nicht von der Stelle lösen, an der sie sich noch einmal zu mir umgedreht hatte, bevor sie durch den Türrahmen verschwunden war, und ich bekam das Lächeln nicht aus meinem Gesicht. Sie hatte versprochen, wiederzukommen. Morgen schon.
Sonst konnte ich mich an kaum etwas von dem erinnern, was sie gesagt hatte. Was ich gesagt hatte. Ich war völlig davon gefangen gewesen, wie sich ihre Stimme anhörte, frisch und sprudelnd wie klares Wasser. Davon, wie sie am ganzen Körper angespannt war, die Schultern hochzog und damit ruckte; wie sie von einem ihrer langen Beine aufs andere trat und ihre Hände in den Hosentaschen zu Fäusten geballt hielt. Und wie die nadelspitze Angst, die gestern dauernd um sie herumgezuckt war wie grelle Blitze, langsam schmolz und sich etwas in ihrem Gesicht öffnete. Etwas Helles, Strahlendes. Manchmal schlug sie die Augen nieder oder senkte den Kopf, dass ihr Haar wie ein Vorhang vor ihr Gesicht fiel. Als wollte sie nicht, dass ich sah, wie sie lächelte, dieses kleine, verhaltene Lächeln, das wie ein Versprechen war. Nur um dann den Kopf zurückzuwerfen, dass ihr Haar nur so flog, und mich aus ihren blauen Augen anzufunkeln.
Sie schien keine Ahnung zu haben, wie hübsch sie war. Mehr als nur hübsch. Sie war hinreißend. Und noch weniger ahnte sie wohl, wie sehr ich mich danach sehnte, sie an mich zu ziehen und irgendwie die Traurigkeit tief in ihrem Blick zum Verschwinden zu bringen, unter der ich einen ganzen Regenbogen an anderen Gefühlen spüren konnte. Ich wollte wissen, wie sie sich unter meinen Händen anfühlte, wie ihr Haar roch und wie ihr Mund schmeckte.
Das Lächeln auf meinem Gesicht zerfiel.
Ich hätte ihr sagen müssen, wer ich war. WAS ich war.
Aber ich konnte nicht. Natürlich nicht. Ich hätte sie noch im selben Moment verloren. Wie hätte ich das zustande bringen können, während sie auf diese Weise vor mir stand und mich anlächelte, mit ihren Augen, so blau wie das Wasser in der Bay.
Amber. Mein Funny Girl.
Das mich fast hatte vergessen lassen, was ich war.
24
Ich verstummte und starrte in den Raum vor mir, in dem ein sanfter grauer Hauch lag, von blassen bläulichen und violetten Schlieren durchzogen. Ein zarter Rest von Licht, der auf dieser Seite des Buntglasfensters hereinsickerte, während draußen eine blasse Sonne gegen den Märznebel ankämpfte. Ich umschlang meine Knie mit einem Arm, während meine andere Hand unruhig Fäden aus dem zerfledderten Saum meiner Schlagjeans rupfte.
»Das tut mir leid«, hörte ich Nathaniel schließlich leise sagen.
Ich sah ihn nicht an. Ich wusste auch so, dass er in fast derselben Haltung dasaß wie ich, mit dem Rücken an die Wand unter dem Fenster gelehnt und die Knie angezogen. Ein Stückchen abseits der Decke, auf der ich hockte, und jenseits des Bücherstapels, den ich die ganzen letzten Nachmittage nicht mehr angerührt hatte.
»Ja, mir auch«, flüsterte ich rau.
Ich wusste nicht, warum ich ihm von Mam erzählt hatte. Vielleicht weil ich das Gefühl hatte, dass er sich wirklich für mich interessierte, wo ich herkam, wie ich lebte und wer ich war. Vielleicht weil er mir zuhörte und mir das Gefühl gab, dass er mich verstand, wenigstens ein bisschen. Weil ich ahnte, dass er nicht mit betretener Miene zu Boden starren und schnell das Thema wechseln oder mich bestürzt ansehen und dann hastig irgendwelche Floskeln hervorstoßen würde, nur um danach mit sichtbarer Erleichterung
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