Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

Titel: In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
Vom Netzwerk:
zurückgestarrt, bis er sich abrupt umwandte, einfach in die rot lackierte Fläche der geschlossenen Tür eintauchte und darin verschwand.
    Meine ausgestreckten Beine zuckten und ich schlang hastig die Arme um mich; ich fror plötzlich.
    »Dinge, die … die nicht … real sind.« Nathaniel. Mein Magen krampfte sich zusammen.
    »Wie kann etwas, das dir offenbar solche Angst einjagt, nicht real sein?«
    Verblüfft sah ich Dr. Katz an. »Wie meinen Sie das?«
    Ein feines Lächeln zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. »Unsere Zeit ist für heute um. Wir sehen uns am Montag wieder.«
    Unten stand ich noch einige Augenblicke auf der Straße, blinzelte in die Aprilsonne und beobachtete die Autos, die die Straße hinauf- und hinabsausten.
    Von Dr. Katz war es ein gutes Stück zu Fuß bis in die Sacramento Street, aber mir machte das nichts aus. Ich mochte es, die Straße entlangzulaufen, die steile California hinauf, vorbei am Fairmont Hotel, diesem klotzigen Kasten à la Monte Carlo mit seinen unzähligen bunten Länderflaggen über dem Eingang. Vorbei am winzigen Huntington Park mit seinen symmetrischen Wegen und wie aus einem Bastelbogen ausgeschnittenen Rasenflächen und der Grace Cathedral, einer pseudo-gotischen Kopie von Notre-Dame in Paris. Dahinter bog ich rechts ab und danach wieder links, dann war ich auch schon in unserem Stück der Sacramento. Manchmal zog ich in Chico’s Market noch mit meiner Kreditkarte Geld aus dem Automaten und besorgte Gemüse für das Abendessen oder holte bei Dewey unsere Wäsche und Teds gebügelte und in Klarsichtfolie verpackte Hemden ab. Ted bedankte sich jedes Mal überschwänglich dafür, sobald er nach Hause kam, aber ich hielt es für das Mindeste, wenn er schon jede Nacht an meinem Bett Wache halten musste.
    Wie kann etwas, das dir offenbar solche Angst einjagt, nicht real sein? Die Frage von Dr. Katz ging mir nicht aus dem Kopf. Unwillkürlich ging ich langsamer und blieb schließlich stehen. Ich wollte noch nicht in die Wohnung und einfach zum normalen Tagesablauf zurückkehren, mit Hausaufgaben, Abendessen, noch ein bisschen Lernen, Surfen, Lesen oder Fernsehen.
    Stattdessen starrte ich den gewaltigen Bau der Kathedrale vor mir an, mit ihren oben abgeflachten Zwillingstürmen, den schlanken Fenstern und spitzen Giebeln und der Rosette über dem Portal. Ted hatte mir erzählt, dass sie noch relativ neu war, erst irgendwann in den Sechzigerjahren fertiggestellt, nachdem ihre Vorgängerin im Großen Beben komplett zerstört worden war. Und trotzdem wirkte sie uralt, wie aus weit entfernten Jahrhunderten übrig geblieben. Ein Fremdkörper, der aus dem Fluss der Zeit herausgefallen war; etwas, das mir irgendwie bekannt vorkam, und vielleicht war das der Grund, warum ich die breiten Betonstufen hinaufstieg.
    Hinter der Holztür erwartete mich die für große Kirchen so typische Mischung aus feierlicher Stille und den hallend vervielfachten Geräuschen von Schritten, Kleidergeraschel, Hüsteln und dem Klicken von Kameras. Ich legte den Kopf in den Nacken und bestaunte die schlanken Pfeiler, die Spitzbögen und die Querrippen des Kirchenschiffs.
    Die schlichten, geradlinigen Kirchenbänke waren fast komplett leer; nur auf der rechten Seite konnte ich einen dunklen Kapuzenpulli erkennen. Und einen hochgegelten Haarschopf in leuchtendem Rot.
    Abrupt blieb ich stehen und schlich dann neugierig näher, bis ich ungefähr auf gleicher Höhe war. Es war tatsächlich Matt Chang, der in der Kirchenbank hockte, sein Totenkopftuch um den Hals und die Hände in den Taschen seines Hoodies. Verlegen wollte ich mich schon umdrehen, da fuhr sein Kopf herum und wir sahen uns in die Augen.
    Seit wir uns im China Bazaar über den Weg gelaufen waren, grüßten wir uns zwar kurz vor der Geschichtsstunde und nickten uns zum Abschied zu, hatten sonst aber kein Wort mehr miteinander gewechselt; irgendwie stand eine dicke Mauer der Befangenheit zwischen uns. Bestimmt hatte er meine Aktion in diesem Asia-Kitsch-und-Kram-Laden doof gefunden oder er mochte mich ganz einfach nicht.
    Jetzt jedoch zuckte so was wie ein Lächeln in seinem Gesicht auf und er rutschte einladend zur Seite.
    »Hi«, flüsterte ich, als ich meinen Rucksack abnahm und mich neben ihn auf das blaue Polster setzte. »Du warst gestern nicht in Geschichte.«
    »War entschuldigt. Hatte einen Termin.« Er starrte in Richtung des Altars, einem schlichten Steinquader mit Holzplatte.
    Unsicher knibbelte ich am Griff meines Rucksacks herum.

Weitere Kostenlose Bücher