In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)
einer leisen Brise sacht bewegte, als lägen wir beide irgendwo am Ufer der Bay, und freute mich an dem seligen Lächeln, das sich auf ihre Züge malte.
Ich wünschte mir, diese Nacht würde nie enden. Ich wünschte mir, ich könnte bis in alle Ewigkeit so bei ihr liegen und über ihren Schlaf wachen. Bei ihr sein, wenn sie morgens die Augen aufschlug. Das Erste sein, was sie am Anfang eines neuen Tages sah, und genau wissen, dass sie das glücklich machte. Anstatt den Moment zu fürchten, in dem sie aufwachte und ihr Schrecken und Angst bis ins Mark fahren würden.
Anstatt zu wissen, dass bald schon die Stadt langsam aus ihrer Nachtruhe heraufdämmerte und es Zeit für mich war, zu gehen.
Bevor Amber aufwachte.
39
»Was fällt dir zu Wasser ein?«
Ich starrte Dr. Katz irritiert an. Nicht nur weil ich die Bluse, die sie heute trug, scheußlich fand – stahlblaue Seide mit einem Rhombenmuster in Senfgelb und Dunkelgrau. Sondern vor allem weil ich ihr doch gerade erzählt hatte, dass ich letzte Nacht nicht nur von meinen Albträumen verschont geblieben war, sondern durchgeschlafen hatte, und das auch noch richtig gut. Wie von einer sanften Meeresbrise gestreichelt. » Wie – was mir dazu einfällt?«
»Was fällt dir zu Wasser ein? Oder zu Meer und Wellen ?«
»Öhm.« Ich verzog das Gesicht. »Urlaub am Meer mit Mam. Schwimmen gehen, faul am Strand liegen und auf die glitzernden Wellen gucken.«
»Was noch?«
Ich blies meine Wangen auf und stieß genervt die Luft wieder aus. »Na, Wasser halt. Nass. Einfach nass. Punkt! Nass und rinnt einem durch die Finger, kann man nicht festhalten. Ist nass und manchmal salzig wie Tränen. Richtig?!« Plötzlich unsicher, wiederholte ich: »Richtig?«
»Du hast Tränen gesagt. Wann hast du das letzte Mal geweint?«
Meine Brauen zogen sich zusammen. »Keine Ahnung.«
Dr. Katz blätterte in den Notizen auf ihrem Klemmbrett herum. »Deine Mutter ist vor weniger als einem halben Jahr gestorben. Du hast nie feuchte Augen, wenn du sie hier bei mir erwähnst, und du kannst dich nicht erinnern, wann du überhaupt das letzte Mal geweint hast.«
»Ja, und?«, sagte ich mit einem Achselzucken und sah Dr. Katz herausfordernd an, die meinen Blick reglos erwiderte. Lange. Noch länger.
Tick. Tick. Tick. Tick. Tick.
Etwas in mir begann zu wackeln und geriet ins Kippen.
»Ja, und?!«, schleuderte ich ihr entgegen, und dann brüllte ich nur noch. » JA UND ?! Spielt das irgendeine Rolle? Für irgendwen? Hätte das irgendeinen Unterschied gemacht?! Hätte ihr das irgendwie geholfen? Ändert das was daran, dass sie nicht mehr da ist?! Kommt sie vielleicht dadurch zurück?!« Als mir meine eigene Stimme schmerzhaft in den Ohren dröhnte, hielt ich schwer atmend inne und sah erschrocken zu Dr. Katz hinüber. »Entschuldigung«, flüsterte ich heiser.
»Wofür entschuldigst du dich?«
»Dass … dass ich Sie angebrüllt hab«, murmelte ich mit hochrotem Kopf, ohne sie anzusehen.
»Du hast nicht mich angebrüllt, Amber. Du hast einfach nur gebrüllt. Und das ist dein gutes Recht.«
Ich warf ihr einen verunsicherten Blick zu, dann streckte ich meine Beine von mir, schob die Hände tief in die Taschen und starrte wieder auf das Bücherregal. Ein kleiner weißer Hase aus Porzellan war neu zu dem Sammelsurium dazugekommen. Konnte es wirklich sein, dass irgendwann in den letzten Wochen Ostern gewesen war und ich nichts davon mitbekommen hatte? Mam hatte Ostern immer sehr gemocht, fast so sehr wie Weihnachten; im Wohnzimmer war dann immer eine große Vase mit Blütenzweigen gestanden, in denen ausgeblasene Eier hingen, die wir zusammen bemalt hatten, als ich noch kleiner gewesen war.
»Du musst deine Mutter nicht mehr schonen, Amber«, hörte ich Dr. Katz leise sagen. »Du musst sie nicht mehr beschützen wollen.«
Plötzlich konnte ich nur noch flach durch den Mund atmen. So sehr hatte ich groß und stark sein wollen, um Mam so viel wie möglich abzunehmen, und immer Angst gehabt, etwas falsch zu machen. Angst, es würde ihr deshalb womöglich noch schlechter gehen.
»Was immer in dir vorgeht, Amber – es ist in Ordnung.«
»Nein«, piepste ich. »Nicht alles.« Mich schüttelte es.
»Doch, Amber. Hier bei mir ist es auf jeden Fall in Ordnung. Was du fühlst, ist nie falsch. Dir mag es lästig sein oder unbequem, du magst dich dafür schämen – aber Gefühle sind nie falsch. Und wenn es dir vorkommt, als wärst du verrückt geworden, dann liegt das daran, dass dir der
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