In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)
Kribbeln rann mir den Nacken hinauf und wie zum Schutz zog ich die Schultern hoch. Hinter meiner Stirn zog ein zäher Nebel auf und breitete sich aus, meine Lider wurden schwer wie kurz vor dem Einschlafen, und ich schüttelte ein paarmal locker den Kopf, um ihn wieder klar zu bekommen.
Mein Blick fiel auf einen Türrahmen auf der linken Seite, der mich magisch anzog. Mit einer dünnen Kordel war der Durchgang versperrt: Authorized Personnel Only stand auf dem Schild, das daran baumelte. Dahinter lag ein enges, extrem schäbig aussehendes Treppenhaus. Das Linoleum des Bodens war ebenso kaputt wie im Speisesaal, die Stufen der schmalen Treppe ausgetreten und die Farbe abgeblättert, genauso wie der weiße Anstrich der Tür auf der rechten Seite mit dem fleckigen Messingknauf.
Ich zuckte zurück, als ich den abgestandenen, modrigen Geruch einatmete, der das Treppenhaus erfüllte. Gerade war ich dabei, mich umzudrehen, als ich einen ganz anderen Duft wahrnahm, dem ich verwundert entgegenschnupperte. Zart zuerst, wurde er schnell intensiver, hüllte mich nach und nach ein, zog durch mich hindurch und füllte mich aus. Nach Meer roch es. Nach Sonne und Sand, wie ein Sommertag am Strand. Und darunter lag etwas Würzigeres wie Zimt, wie geriebene Mandeln und Kakao. Ein vertrauter Geruch war es, wenn es auch schon lange her war, dass ich ihn zuletzt gerochen hatte. Sehr lange.
Tränen schossen mir in die Augen. Mam.
Amber.
Mein Kinn zitterte, als ich ihre warme Stimme hörte. »Mam?«
Amber. Mit einem Schlag war alles wieder da. Ihr dunkles, samtiges Lachen. Wie sie die Arme um mich schlang und mich an sich drückte, wenn wir zusammen auf dem Sofa hockten. Wenn ich mich an sie schmiegte, während sie in der Küche Essen machte oder wenn sie mich wegen irgendwas tröstete. Wie es sich angefühlt hatte, wenn sie mir einen Kuss gab, morgens nach dem Aufstehen und abends vor dem Schlafengehen, wenn ich aus dem Haus ging und zurückkam oder einfach nur so. Erinnerungen an unzählige große und kleine Momente sprudelten in mir herauf und wirbelten herum, schön und schmerzhaft zugleich.
»Mam.« Ein Schluchzer nach dem anderen rutschte mir aus der Kehle. »Mam.«
Aus dem Augenwinkel sah ich eine Bewegung und schreckte zusammen. Der Türknauf drehte sich und klickte; mit einem leisen Knarren öffnete sich die Tür einen Spalt weit nach innen.
Mehr von diesem Duft wogte an mich heran und durchflutete mich vom Scheitel bis zu den Zehenspitzen. Ich duckte mich unter der Kordel hindurch und ging auf die Tür zu. Vorsichtig schob ich sie weiter auf. Dahinter war es dunkel. »Mam?«
Amber.
Der Nachhall ihrer Stimme zog und zerrte an mir; die Sehnsucht nach ihr war so stark, dass sie mich beinahe zerriss. Meine Finger tasteten nach dem Lichtschalter; flackernd entzündete sich über mir eine nackte Glühbirne, die an einem Kabel schaukelte und eine steile Treppe beleuchtete, die nach unten führte. »Mam?«
Meine Stimme hallte von den Wänden wider.
Amber.
Stufe um Stufe ging ich hinunter und stützte mich dabei an einer Wand ab. Feuchtigkeit rann in glitzernden Tropfen über die nackte Mauer. »Mam?«
Sobald ich unter der Glühbirne durchgegangen war, schluckte mein Körper das Licht. Im Halbdunkel stieg ich die nächsten Stufen hinab, schließlich die vorletzte, die letzte, bis ich in einem engen Winkel stand. Auf der rechten Seite öffnete sich ein Gang, in dem ich nur schemenhaft lang gestreckte Wände und einen abschüssigen Boden erkennen konnte, die weiter hinten in Dunkelheit versanken. Ich zögerte, aber das Sehnen war übermächtig, und ich ging weiter. »Mam?«
Ich verlor das Gefühl für Raum und Zeit, für alles um mich herum und für mich selbst; alles in mir war nur noch Mams Duft und ihre Stimme, ihre Berührungen und ihre Nähe. Als würde ich von einem dicken, weichen Polster aus Erinnerung umhüllt und getragen.
Der Duft verschwand so plötzlich wie er gekommen war; plötzlich roch es muffig, geradezu faulig, und mit einem Schlag war ich hellwach. Als hätte ich zuvor geschlafen.
Es knisterte und rauschte; dann zuckte der schwache Lichtschein und verlosch.
42
»Mam?«, krächzte ich in die Finsternis hinein und tastete mich weiter an der Wand entlang. »Mam?«
Hinter mir knirschte es; ich hörte ein Rieseln, ein Scharren, dann ein mehrfaches Poltern von Stein auf Stein. Mein linker Schuh schrammte über eine Kante, beinahe wäre ich gefallen, und ich warf mich Halt suchend gegen die Wand.
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