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In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

Titel: In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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den Sims, auf dem Amber schlotternd stand.
    Es tat mir weh, wie sie zusammenzuckte, als ich näher kam und mich vor sie schob. Mehr denn je wünschte ich mir, ich könnte sie genauso berühren wie irgendeinen Gegenstand. Sie jetzt einfach in die Arme schließen und dorthintragen, wo sie sicher stehen konnte. Doch ihr Körper war menschlich, und solange Leben in ihr war, floss beständig eine Kraft durch ihn hindurch, so empfindlich, dass sie leicht erlosch, und doch so stark, dass sie nach außen abstrahlte. Die meine Kraft zu Luft und Wind zerstreute und mich für den Menschenleib nur etwas mehr als Nebel sein ließ. Die Versuchung, mich an sie zu pressen, mich in sie hineingleiten zu lassen und mich ihres Körpers zu bemächtigen, umsäuselte mich, zerrte dann heftig an mir. Nicht allein, um Kontrolle über ihren Körper zu haben, ihn mit meiner Kraft zu lenken und in Sicherheit zu bringen. Sondern auch, um in ihr aufzugehen; die Vorstellung, eins mit ihr zu sein, ihrer Seele so nahe zu kommen, wie es für zwei Seelen nur geht, indem ich ihre mit meiner durchwob, ließ mich zittern vor Begierde. Ein Leichtes wäre es in diesem Zustand, in dem sie sich befand, noch leichter weil sie sich mir schon so weit geöffnet hatte. Aber so leicht wäre es auch, ihr damit zu schaden, sie vielleicht zugrunde zu richten, auch wenn ich das gar nicht wollte. Mit geballten Fäusten zwang ich diese Gier in mir hinunter; es musste einfach noch einen anderen Weg geben.
    »Ich bring dich heil hier herunter, Amber«, raunte ich ihr zu. »Das verspreche ich dir.«

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    Ich hatte ohnehin schon solche Angst, und wie Nathaniel auf mich zukam, war einfach spooky . Schattengleich schwebte er auf mich zu und sah dabei doch schwer und massiv aus. Wie das Wechselspiel von Licht und Schatten Knochen, Muskeln und Fleisch herausmodellierte, wirkte er auf mich durch und durch lebendig. Und auf unbegreifliche, schauerliche Weise war er trotzdem schwerelos. Ich konnte nicht aufhören zu zittern, ich konnte ihn nicht länger ansehen. Es war, als hielt mich eine Geisterhand im Genick gepackt, und ein Angstschauder nach dem anderen jagte durch mich hindurch.
    »Schau mich an, Amber. Bitte.« Bibbernd schielte ich zu ihm hin. Er war direkt vor mir und schob sich noch näher, streckte langsam die Hände aus und legte sie ganz dicht links und rechts von mir gegen die Wand. Ein Luftzug strich über mich hinweg, etwas Dichteres, Zäheres streifte über meinen Arm und machte mir Gänsehaut. »Schau mir in die Augen.« Vorsichtig hob ich den Kopf; und mein Blick traf seinen. »Vertraust du mir?«
    »Mach das bloß nicht!«, rief Matt bissig dazwischen. »Trau ihm nicht! Glaub ihm kein Wort, Amber! Kein einziges!«
    Ich blickte in Nathaniels tiefgrüne Augen, und für einen Moment vergaß ich, dass er ein Geist war. Ich schaute in seine grünen Augen unter den dunklen Locken und ich sah nur Nathaniel. Einfach Nathaniel. Mein Herz machte einen Satz und wurde dann groß und weit.
    »Ja«, hauchte ich, und er lächelte.
    »Gut. Atme tief ein und aus. So ist’s gut. Und jetzt heb deinen linken Fuß ein bisschen an und mach einen Schritt nach links.«
    Mein Fuß rührte sich nicht von der Stelle und mir brach der Schweiß aus allen Poren. »Ich kann nicht«, jammerte ich kläglich.
    »Doch, du kannst. Du hast Platz genug auf dem Stein. Du schaffst das.« Zittrig schob ich den Fuß ein winziges Stückchen nach links, und den Rücken an die Wand gepresst, zog ich den rechten nach. Meine Augen zuckten nach unten, hinab in die Finsternis, und mir wurde schlecht. »Nicht nach unten sehen. Schau mir in die Augen, Amber. So ist’s gut. Und jetzt machst du den nächsten Schritt. Und noch einen.«
    Schrittchen um Schrittchen dirigierte Nathaniel mich den Sims entlang, fast wie in einer Umarmung, und nicht auch nur eine Sekunde lang lösten sich unsere Augen voneinander.
    »Und jetzt machst du einen großen Schritt.«
    Ich fuhr zusammen und starrte auf die Lücke neben meinem linken Schuh; etwas in mir sträubte sich, war überzeugt, ich würde straucheln und fallen, viel, viel tiefer als auf den harten Boden unter mir, den ich bereits erahnen konnte. Doch etwas anderes in mir zog mich vorwärts; ich atmete ein und setzte mit einem langen Schritt über die Leere hinweg. Dann gab es in schneller Folge nur noch links-und-rechts , links-und-rechts , immer schneller auf den Anfang der Rampe zu, der mir heller und heller entgegenkam, bis ich kurz vor dem Ende des Simses angelangt

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