In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)
sich nicht so gruselig an wie beim ersten Mal, schon gar nicht, als dieser Nebel sich auf meiner Haut leicht erwärmte. Und dieses Mal fand ich es schade, dass Nathaniel zurückwich und diese zarte, fließende Wärme mit sich fortnahm.
»Ist besser, wenn ich jetzt gehe«, raunte er heiser vor sich hin und lehnte sich gegen die Mauer, sodass eine seiner Schultern bereits darin eintauchte.
»Nathaniel«, flüsterte ich mit einem Kloß im Hals, und endlich sah er mir in die Augen. »Danke«, würgte ich hervor.
Um seinen Mund zuckte es, als wollte er lächeln oder etwas sagen; stattdessen nickte er nur knapp und ließ sich vollständig in die Mauer sinken. Daran konnte und wollte ich mich nicht gewöhnen. Schon gar nicht bei ihm; hastig sah ich weg und erst wieder hin, als ich aus dem Augenwinkel erkennen konnte, dass er verschwunden war. Undurchdringlich glatt und auf abweisende Art solide wirkte die Mauer auf mich und mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen.
Verstohlen duckten Matt und ich uns unter der Kordel hindurch und schlenderten unauffällig zum Ausgang des Speisesaals, dann machten wir, dass wir so schnell wie möglich aus dem Zellenblock hinauskamen.
Im Laufschritt legten wir den Weg nach unten zurück, eingehüllt in einen feinen Nieselregen, den der bleigraue Himmel zu uns herunterschickte. Meine Jacke und meine Hose waren genauso verdreckt und fleckig wie die von Matt, und ich vermutete, dass ich genauso blass um die Nase aussah wie er. Schweigend standen wir an der Anlegestelle in der endlos langen Schlange munter plaudernder und lachender Touristen, und schweigend schipperten wir auch in der mollig warmen, von den vielen Passagieren fast stickigen Kabine unter Deck nach San Francisco hinüber. Und keiner von uns beiden warf noch einmal einen Blick zurück nach Alcatraz.
»Ihr habt sie echt nicht mehr alle!«
Wie ein Tornado wirbelte Holly durch ihre Küche, ein Tornado in Jogginghosen aus limonengrünem Nickistoff, taillenkurzem Longsleeve mit glitzerndem Aufdruck und Hausschuhen, die verblüffend Mrs Hansons Katze ähnelten. Während sie uns weiter ausschimpfte und vor sich hin fauchte, riss sie Schranktüren auf und schlug sie wieder zu, klapperte mit Dosen und Löffeln und klirrte mit Tassen und Gläsern, wobei mir nicht ganz klar war, ob sie aufräumte, etwas Bestimmtes suchte oder einfach damit ihre Wut abreagierte; sie erinnerte mich an Mam, wenn sie wütend gewesen war. Ein Wunder, dass alles heil blieb, und nicht zum ersten Mal in der letzten halben Stunde dachte ich, dass es wohl kein guter Einfall gewesen war, uns bei Holly ein bisschen erholen zu wollen.
»Es war meine Idee«, meldete sich Matt kleinlaut zu Wort, der sich auf dem Stuhl zusammengekauert hatte und sich an seiner Colaflasche festhielt. »Amber kann nichts dafür.«
»Umso schlimmer!«, zischte Holly, zerrte eine Schublade auf und knallte sie gleich wieder zu. »Du hättest es besser wissen müssen!«
»Jaa«, murrte er, sah mich über den Tisch hinweg an und formte mit den Lippen ein stummes Sorry . Ich zuckte müde mit den Schultern und nippte an meinem heißen Tee; er schmeckte anders als sonst bei Holly, mehr nach Kräutern, ein bisschen nach Salbei und leicht bitter.
»Immerhin hab ich sie jetzt endlich davon überzeugt, dass es Geister gibt und dass sie sich nicht einbildet, was sie sieht«, grummelte Matt vor sich hin.
»Aber auf die Idee, dass sie momentan wie ein weit offen stehendes Tor für Geister ist, bist du natürlich nicht gekommen, was?!«, zeterte Holly weiter.
»Hmpf«, machte Matt und duckte sich tiefer über die Plastikflasche.
»Und warum bin ich das?«, fragte ich leise.
Holly blieb abrupt stehen und ihr eben noch im Zorn verkniffenes, gerötetes Gesicht wurde weich. »Na, wegen deiner Mommy, Schätzchen! Wenn jemand Sensibles wie du hautnah miterlebt, wie ein geliebter Mensch todkrank wird und stirbt, reißt das ein so großes Loch in deine Seele, dass es für Geister ein Leichtes ist, sich Zugang zu dir zu verschaffen.«
Ich blinzelte in die dampfende Teetasse vor mir; ich hatte mich nie für besonders sensibel gehalten, eher für den bodenständigen, zupackenden und realistischen Typ, so wie Mam es gewesen war. »Heißt das … heißt das, dass ich heute von einem Geist besessen war? Oder von mehreren?« Allein der Gedanke daran ließ mir übel werden vor Angst.
»Aber nein!« Etwas besänftigt sortierte Holly die Gläser im Oberschrank um. »Dann wärst du nicht auf dem Sims stehen
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