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In dunkler Tiefe sollst du ruhn: Mitchell & Markbys zwölfter Fall

In dunkler Tiefe sollst du ruhn: Mitchell & Markbys zwölfter Fall

Titel: In dunkler Tiefe sollst du ruhn: Mitchell & Markbys zwölfter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Granger Ann
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ächzte.
    »Du musst dir keine Sorgen wegen mir machen, Onkel Simon.« Die hellen Augen seiner Nichte blickten direkt in die seinen, und er blinzelte nervös.
    »Es ist schon in Ordnung, ehrlich.« Im sich daran anschließenden Schweigen flatterte eine Amsel in die Zweige des Apfelbaums hinauf und beobachtete ihn mit einem scharfen, gelb umrandeten Auge. Die Szene war trügerisch friedvoll. Ein wenig wie diese impressionistischen Gemälde, auf denen die Familien der Künstler zu sehen waren, dachte Simon. Alle sitzen oder liegen en plein air und amüsieren sich. Das Schattenmuster der Blätter im langen Gras unter dem blassen Sonnenschein des Tages. Das Kind mit seinen langen, blonden Haaren. Er selbst, der aussah wie einer jener Angehörigen der Bohème. Ein Schriftsteller, allerdings nicht die richtige Sorte von Schriftsteller. Ein Historiker, kein Poet und kein Dramatiker. Ein Historiker, der für Kinder schrieb. Doch was wusste er schon über den Verstand eines Kindes? Die Frage, als er endlich imstande war, sie zu erfassen, kam aus seinem tiefsten Inneren herauf, wie ein endlos erscheinender Seidenschal, den ein Magier aus seinem Mund zog.
    »Was weißt du, Tammy? Was ist das, was du der Polizei nicht erzählen kannst?« Sie vermied seinen Blick und starrte auf ihre Füße. Es waren Ferien, deswegen lief sie in Turnschuhen herum, was in der Schule verboten war. Simon fand, dass sie heiß und klobig aussahen. Doch was verstand er schon von Kindern? Nichts. Er mochte vielleicht früher einmal geglaubt haben, dieses hier zu verstehen, doch das war ein Irrtum gewesen. Er fürchtete Tammy. Das war das Schlimmste von allem. Er fürchtete das, was geschehen würde, wenn diese kindlichen Lippen sich teilten und nicht ein endloser, bunter Seidenschal hervorkam, sondern etwas so unaussprechlich Schreckliches, dass er bereit war, alles zu geben, um es wieder zurückzustopfen, es zum Schweigen zu bringen, im Keim zu ersticken. Ihre Stimme war ein fast unhörbares Flüstern, als sie schließlich sprach.
    »Ich habe es gesehen.«
    »Was hast du gesehen?«, fragte er mit fast genauso leiser Stimme und bleiernem Herzen.
    »Wen hast du gesehen, Tammy? War es Sonia?« Sie blickte auf. Sie sah verängstigt und verwirrt aus. Sie schüttelte den Kopf, dann unterbrach sie sich und nickte.
    »Kann man so sagen.« O Gott!, dachte Simon. Das ist schlimmer, als ich es mir jemals vorzustellen imstande gewesen wäre.
    »Als du sie gesehen hast, Tammy – war sie da am Leben? Oder tot?« Er wusste, wie die Antwort ausfallen würde, doch er wartete immer noch mit dieser angsterfüllten Faszination, mit der er als Kind den Magier beobachtet hatte.
    »Ich glaube, sie war schon tot.« Die Worte waren kaum lauter als ein Rascheln in den Zweigen.
    »Sie wurde nämlich getragen.« Das war es also. Jetzt war es ausgesprochen, und er war überrascht über die Woge der Erleichterung, die er spürte. Weil nun das, was vor ihm lag, klar wurde. Nun wusste er, was er zu tun hatte. Es fühlte sich fast an, als hätte er ihre Billigung.
    »Ich verstehe«, sagte er ruhig.
    »Wo warst du?«
    »Unten an der Böschung.« Seine Ruhe bekam einen Riss.
    »Was zur Hölle hattest du dort zu suchen, mitten in der Nacht?« Sie blickte auf, offensichtlich erschrocken.
    »Ich wollte meinen Froschrucksack holen gehen.«
    »Deinen was?« Er begriff nicht, wovon sie redete. Sie erklärte es ihm.
    »Ich hab meine Schulsachen in meinem Froschrucksack. Die Hayward-Zwillinge hatten ihn mir weggenommen und über das alte Viadukt geworfen, und er hatte sich in einem Ast verfangen. Ich konnte meine Hausaufgaben nicht machen ohne die Schulsachen, deswegen bin ich losgegangen, um zu versuchen, ihn zu holen.«
    »Und du hast es gesehen?«, fragte er. Jede Emotion war aus seiner Stimme gewichen.
    »Ja, Onkel Simon. Ich habe dich gesehen. Ich habe dich gesehen und den anderen Mann.«
    KAPITEL 15
    MARKBY LENKTE den Wagen kurz vor dem Abzweig zur Hazelwood Farm an den Straßenrand und rief im Regionalen Hauptquartier an. Er hoffte, Pearce anzutreffen, doch man teilte ihm mit, dass der Inspector unterwegs war. Allerdings hätte Miss Mitchell versucht, ihn zu erreichen.
    »Wissen Sie, von wo aus sie angerufen hat?«, fragte Meredith den Dienst habenden Constable.
    »Von London?«
    »Ich denke ja, Sir. Sie wollte nur mit Ihnen sprechen.«
    »Ich kümmere mich darum, danke«, sagte Markby und beendete das Gespräch. Er blieb einen Augenblick lang gedankenversunken sitzen, dann stieg er

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