In dunkler Tiefe sollst du ruhn: Mitchell & Markbys zwölfter Fall
aus. Der Wind peitschte über die Hügellandschaft und rauschte in den Blättern über seinem Kopf. Es war feucht unter seinen Füßen, eine Mischung aus Matsch und abgestorbener Vegetation. Und die unausweichliche, leere Getränkedose, achtlos aus einem Wagenfenster geworfen. Er trat sie verärgert in den Straßengraben, kramte sein Mobiltelefon hervor und wählte Merediths Nummer.
»Hallo?« Er hörte ihre Stimme; sie klang gedämpft. Im Hintergrund war ein leises Rattern und Rauschen.
»Bist du im Zug?«, fragte er.
»Ich bin auf dem Rückweg nach Bamford. Ich habe versucht dich anzurufen, bevor ich in den Zug gestiegen bin.« Sie klang immer noch verstohlen und leise. Markby lächelte. Es gab jene, die ein großes Aufhebens darum machten, unterwegs Anrufe zu tätigen und entgegenzunehmen, und jene, die sensibler waren gegenüber den bösen Blicken ihrer Mitreisenden. Meredith gehörte zur zweiten Sorte.
»Gibt es etwas, das ich wissen muss? Ich war gerade bei Hugh Franklin und bin auf dem Weg zurück in mein Büro.«
»Diese Kündigungsgeschichte«, murmelte Meredith in den Hörer. Er konnte sie kaum verstehen.
»Was?«
»Ich bin im Zug!« Lauter, entschiedener diesmal.
»Ich kann nicht brüllen! Sie musste gehen.«
»Gehen? Wer? Sonia? Von Dixon Dubois?«
»Geschäftspolitik, wenn man es so nennen kann.« Schweigend verfluchte Markby die Tatsache, dass Meredith in einem wahrscheinlich überfüllten Eisenbahnwaggon saß. In einem Pendlerzug brachte das Wort
»Kündigung« jeden in Hörweite dazu, die Ohren zu spitzen.
»Was für eine Geschäftspolitik? Unvereinbare Persönlichkeiten? Belästigung?«
»Ja. Letzteres.«
»Hat jemand sie durch das Büro gejagt?«
»Nein, umgekehrt.«
»Was?«
»Ich lege jetzt auf. Wir sehen uns heute Abend, okay?« Er starrte auf das schweigende Mobiltelefon. Schließlich steckte er es ein, während er sich bemühte, die Information zu verdauen. Es ergab Sinn. Sonia hatte London verlassen, weil sie in Ungnade gefallen war. Sie hatte auf dem Land ein Versteck gefunden, doch bald hatte sie angefangen, sich zu langweilen. Also hatte sie wieder angefangen, die gleichen Spiele zu spielen wie zuvor – falls
»Spiele« das richtige Wort war. Vielleicht hatte sie die Affären gebraucht, hatte das Gefühl gebraucht, dass sie jeden haben konnte, den sie wollte. Geringes Selbstwertgefühl?, fragte sich Markby. Minderwertigkeitskomplexe oder Versagensängste? Die verzweifelte Anstrengung, etwas zu beweisen, ohne zu wissen, was es eigentlich war? Er hatte schon früher sowohl Männer als auch Frauen kennen gelernt, die so waren. Schürzenjäger, die gute Ehen gegen die Wand laufen ließen, weil sie sich herumtrieben und ihren Kumpanen beweisen mussten, dass sie immer noch einen Schlag bei den Frauen hatten. Er erinnerte sich an einen Fall in Bamford, eine stille, kleine Frau, die mit einem angesehenen Mann verheiratet war, ein hübsches Haus, jede Menge Geld. Erst als zwei ihrer Liebhaber es in ihrer Auffahrt ausgekämpft hatten, was dazu führte, dass ein Nachbar die Polizei alarmiert hatte, war die Wahrheit ans Licht gekommen. Sie hatte zu Hause eine, wie sie es nannte, Praxis für Sexualtherapie unterhalten. Die gesamte Nachbarschaft hatte Vorzugspreise erhalten. Die Cherry Tree Farm lag nicht weit entfernt. Pearces Beschreibung, durchsetzt mit reichlich kritischen Anmerkungen, hatte Markby neugierig auf die Farm gemacht. Warum nicht kurz selbst hinfahren und einen Blick riskieren? Derry Hayward war auf seiner eigenen Farm angegriffen worden, also handelte es sich um einen Tatort. Er wollte selbst die Gegebenheiten in Augenschein nehmen, sich ein Bild machen. Nach der Schilderung von Haywards Frau, die sie Markby und Pearce im Krankenhaus gegeben hatte, war der Weg vom Haus zum Stall weit genug gewesen, um dem Angreifer zu gestatten, im Schutz der Dunkelheit zu entschlüpfen und sich hinter Haywards Rücken ins Haus zu schleichen. Die lokale Polizei, von Mrs Hayward alarmiert, hatte dies sicher alles in ihrem Bericht erwähnt, und Pearce würde ihm nachgehen. Doch Markby gestand sich ein, dass alte Gewohnheiten nur schwer abzulegen waren. Er konnte beim besten Willen nicht immer nur hinter seinem Schreibtisch sitzen und Berichte von seinen Beamten entgegennehmen. Er musste selbst vor Ort sein, musste sehen, riechen, schmecken, seine eigenen Eindrücke gewinnen. Außerdem wusste er instinktiv, dass Belinda Hayward sich irrte. Der unwillkommene Besucher war weder ein Viehdieb
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