In dunkler Tiefe sollst du ruhn: Mitchell & Markbys zwölfter Fall
würde die Spur kälter und kälter werden, das Gedächtnis von Zeugen nachlassen, Beweise verloren gehen oder beschädigt werden.
»Wir haben alles überprüft!«, hatte er protestiert.
»Wenn Franklin die Wahrheit sagt und sie die Farm zu der von ihm genannten Zeit verlassen hat, dann wissen wir nicht, wohin sie gegangen ist. Wir können nur raten, dass sie zum alten Viadukt gegangen ist, aber wir wissen nicht, aus welchem Grund. Falls sie sich mit jemandem getroffen hat, dann wissen wir nicht, mit wem.«
»Nun, machen Sie sich auf den Weg und finden Sie es heraus!«, hatte der Superintendent gefaucht – ungerechtfertigt nach Pearces Meinung. Auch hielt er nicht viel davon, untergebene Offiziere auf ganztägige Angelausflüge zu senden. Der Vorschlag, Holding nach London zu schicken, um Dixon Dubois zu überprüfen, die Firma, wo Sonia Lambert gearbeitet hatte, nagte an ihm.
»Leite ich nun diese Ermittlungen oder nicht?«, murmelte Pearce vor sich hin.
»Ich weiß, er ist der Chef des Ladens …« Mit
»er« war Markby gemeint.
»Aber ich mache die ganze Alltagsarbeit, und wenn jemand einen Trip nach London verdient hat, dann bin ich das!« Vor Pearce tauchte der Abzweig zur Cherry Tree Farm auf und riss ihn aus seinen Gedanken. Die Einfahrt war so auffällig markiert, dass er bremste und sich ein paar Sekunden lang Zeit nahm, um sie zu betrachten. Über einem schicken Holzbrett mit dem Namen der Farm in Brandmalerei war ein geschnitztes Pferd mit hoch erhobenem Kopf, das hinaus auf das weite Land blickte. Pearce hatte nicht daran gedacht, sich vorab zu erkundigen, was für eine Farm die Cherry Tree Farm war. Er hatte angenommen, dass es sich um einen Hof ganz ähnlich der Hazelwood Farm handelte, doch jetzt dämmerte ihm, dass dieser Betrieb sehr viel wohlhabender sein musste. Vielleicht eine Pferdefarm, in der Rassetiere gezüchtet wurden? Pearce fuhr langsam weiter, während er sich auf das Unerwartete vorbereitete. Im Gegensatz zu dem unbefestigten Schotterweg, der zur Hazelwood Farm führte, war diese Zufahrt geteert und von Bäumen gesäumt. Pearce bezweifelte, dass die Straße mit öffentlichen Mitteln gebaut worden war. Und wenn die Besitzer der Cherry Tree Farm sie gebaut hatten, dann bedeutete dies einen beträchtlichen finanziellen Aufwand. Leute legten normalerweise nicht so viel Geld auf den Tisch, wenn sie nicht erwarteten oder wenigstens hofften, es wieder hereinzuholen. Die alten Steinmauern zu beiden Seiten der Straße waren ebenfalls gründlich restauriert und mit Mörtel ausgebessert worden. Das Tor stand offen. Pearce fuhr hindurch, parkte und stieg höchst neugierig geworden aus seinem Wagen. Der Hof sah aus wie ein Farmhof, so viel stand fest, doch eher wie ein Farmhof von der Sorte, die man früher auf Illustrationen in Kinderbüchern gefunden hatte. Oder wie altes Spielzeug, das heutzutage zerschrammt und zerkratzt als rares Sammelobjekt in Antiquitätengeschäften auftauchte und für teures Geld den Besitzer wechselte. In den Regalen der Spielzeugläden, wo diese Bauernhöfe früher einmal gestanden hatten, standen heute Weltraummonster und muskelbepackte Action-Helden, moderne Fantasy-Spielsachen, die nicht weniger unrealistisch waren als die Spielzeugbauernhöfe von einst. Wahrscheinlich hatte es niemals eine echte Farm gegeben, die so makellos sauber ausgesehen hatte. Bis auf die Cherry Tree Farm. Sie kam dem Ideal ziemlich nah. Pearce war bereit, seine Pension zu verwetten, dass die Farmarbeit, die hier geleistet wurde, höchstens einem untergeordneten Zweck diente und dass dahinter irgendein anderes Geschäft steckte. Die Cherry Tree Farm war ein Showbetrieb. Das Farmhaus aus Feldsteinen war makellos weiß gekalkt, was Pearce als Schande empfand. Die Fensterrahmen sowie die Tür waren in einem so strahlenden Himmelblau gestrichen, dass es in den Augen wehtat. Der Hof war der sauberste, den Pearce jemals gesehen hatte. Nichts so Unansehnliches wie ein Misthaufen. Was auch immer die Tiere der Cherry Tree Farm bei der Verdauung ihres Futters produzierten, es war gut versteckt. Auf einer Seite des Hofes standen ein paar Pferdeanhänger. Direkt daneben schwitzten zwei junge Mädchen, die fleißig mit dem Striegeln zweier Ponys beschäftigt waren. Pearce näherte sich den beiden Mädchen und rief:
»Hallo!« Die Mädchen unterbrachen ihre Arbeit und wandten sich gleichzeitig zu ihm um, die Striegel in den Händen. Auch die Ponys drehten die Köpfe und starrten den Neuankömmling
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