In dunkler Tiefe sollst du ruhn: Mitchell & Markbys zwölfter Fall
Straße, die an der Böschung entlang verlief, näherte sich in langsamer Fahrt ein alter Land Rover. Während sie den Wagen beobachtete, hielt er an, und ein Mann sprang vom Fahrersitz herab. Hastig nahm Meredith das Fernglas wieder hoch. Es war Hugh Franklin, ohne jeden Zweifel. Er hatte sich umgezogen. Die alte Jacke, die er am Morgen beim Gerichtstermin getragen hatte, sollte wohl seine
»gute Kleidung« darstellen. Jetzt trug er einen Pullover und Jeans. Er ging weiter bis zu Merediths Wagen, starrte hinein, dann drehte er sich um und verschwand im Dickicht der Böschung. Meredith steckte das Fernglas ein. Sie wartete ein paar Minuten, doch als Hugh nicht wieder zum Vorschein kam, verließ sie ihren Aussichtspunkt und kehrte auf dem gleichen Weg zurück, auf dem sie gekommen war. Nach unten zu klettern erwies sich als fast genauso schlimm wie der Weg nach oben. Als sie endlich beim Gatter und dem Zauntritt angelangt war, rechnete sie fest damit, dass der alte Land Rover nicht mehr dort stand, doch sie hatte sich getäuscht. Er war immer noch da. Meredith warf einen zögernden Blick zu ihrem eigenen Wagen, dann überquerte sie die Straße in Richtung der Böschung. Im Dickicht herrschte Stille, und alles war unnatürlich ruhig. Der Boden war durchnässt vom morgendlichen Regen. Meredith nahm den einzigen Weg, den sie erkennen konnte, und stieg vorsichtig nach unten, während sie angestrengt auf Geräusche der zweiten Person lauschte, von der sie wusste, dass sie irgendwo hier sein musste. Sie fand keine Spur von ihm. Wasser tropfte von den Zweigen und landete in ihrem Nacken, und als etwas mit einem Rascheln und Klappern aus einem Baum fiel, wäre sie vor Schreck beinahe erstarrt. Doch es war nur ein lockerer Ast gewesen. Sie versuchte sich die Örtlichkeit ins Gedächtnis zu rufen, wie sie sie von ihrem Besuch mit Alan kannte. Die Stelle, wo Sonia gefunden worden war, lag irgendwo zur Rechten. Meredith setzte sich in Bewegung, durch Nesseln und Brombeeren hindurch, und gelangte bald zu einer frisch niedergetrampelten Fährte. Sie mündete auf einer kleinen ausgetretenen Lichtung, die im fahlen Sonnenlicht feucht glitzerte und immer noch mit Resten von Absperrband umgeben war. Meredith blieb am Rand der Lichtung stehen und sah sich verwirrt um. Irgendwie hatte sie erwartet, Hugh hier vorzufinden, doch noch immer war keine Spur von ihm zu sehen. Sie wurde allmählich unruhig, nicht nur, weil er nicht auffindbar war, sondern auch, weil sie nicht wusste, was er machte oder weswegen er hergekommen war. Sie betrat die Lichtung und rümpfte die Nase angesichts der Schweinerei, die von der Polizei zurückgelassen worden war. Doch vermutlich würde die Natur innerhalb weniger Monate fast alle Spuren beseitigen. Papier und Karton würden verrotten, die freie Fläche erneut überwuchert. Das Absperrband aus Kunststoff würde länger überdauern. Jemand sollte es entfernen. Sie streckte die Hand nach dem nächsten baumelnden Stück aus. Ohne Vorwarnung zischte etwas durch die Luft, und ein Stock schlug das Band beiseite, bevor sie es berühren konnte.
»Das lassen Sie sein!«, grollte eine männliche Stimme. Meredith wurde mit schmerzhaftem Griff an der Schulter gepackt und herumgewirbelt. Sie blickte direkt in Hugh Franklins ärgerliches Gesicht. Für einen kurzen Augenblick starrte er sie an, dann runzelte er die Stirn, als er sie erkannte. Zu ihrer Erleichterung ließ er sie los.
»Sie sind Janes Freundin«, sagte er.
»Sie waren heute Morgen bei der Verhandlung. Ist das Ihr Wagen oben an der Straße?« Sie sagte ihm, dass sie oben auf dem alten Viadukt gewesen wäre und ihn gesehen hatte, wie er in das Dickicht gegangen sei. Vögel zu beobachten als Erklärung für ihre Expedition erschien ihr als schwache Ausrede, doch Hugh hörte ihr kaum zu. Er war zu sehr damit beschäftigt, eine eigene Erklärung für sein Hiersein zu liefern.
»Ich dachte«, sagte er,»als ich den Wagen sah, dass noch so ein Mistkerl hergekommen wäre. Mord zieht diese Ghouls an wie Schmeißfliegen. Sie sammeln alles Mögliche, Souvenirs. Sie würden es nicht glauben.«
»Leider doch, ja. Ich glaube Ihnen. Ich weiß, dass es solche Leute gibt. Aber ich gehöre nicht dazu. Ich weiß, dass Jane Ihnen erzählt hat, dass ich mich für Verbrechen interessiere. Das ist der Grund, aus dem sie glaubt, ich könnte vielleicht helfen.«
»Wie? Wollen Sie die Polizei überzeugen, dass ich Sonia nicht umgebracht habe? Sie glaubt nämlich, dass ich es
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