In dunkler Tiefe sollst du ruhn: Mitchell & Markbys zwölfter Fall
passender Seidenpullover mit Polokragen. Auf ihrem Kopf saß modisch eine Sonnenbrille, die das sauber gekämmte Haar zusammenhielt. Meredith spürte den kritischen Blick der anderen Frau auf sich und ihrem mehr als legeren Erscheinungsbild ruhen und hoffte, dass sie sich täuschte, als sie einen Anflug von Mitleid darin zu bemerken glaubte.
»Bitte entschuldigen Sie«, sagte Meredith entschieden und ließ ihre Dosen, Milch und Brötchen auf den Tresen plumpsen. Wir sind schließlich nicht alle Modepüppchen, nicht wahr? Seit wann tanken Sie Ihren Wagen hier auf, Miss Talbot? Die beiden letzten Bemerkungen summten wütend in Merediths Kopf, doch sie fanden nicht den Weg über ihre Lippen.
»Hallo, wie geht’s?«, erkundigte sich der junge Mann hinter dem Tresen. Seine nächsten Worte,»Was haben wir denn hier?«, verrieten jedermann in Hörweite, dass Meredith auch für gewöhnlich ihre Einkäufe hier erledigte.
»Heute nicht in den großen Smog gefahren? Normalerweise sehe ich Sie doch immer erst abends hier?« Das war ein weiterer Vorteil des Tankstellenshops. Er hatte vierundzwanzig Stunden am Tag geöffnet, eine Wohltat für spät heimkehrende Pendler.
»Ich hab ein paar Tage Urlaub genommen«, sagte Meredith. Bethan hatte sich entfernt und stand unentschlossen bei der Eiskrem.
»Ein wenig ausspannen«, fuhr Meredith in Bethans Richtung gewandt fort.
»Wer’s nötig hat«, sagte der junge Mann.
»Zwei Pfund neunundvierzig macht das. Brauchen Sie vielleicht eine Einkaufstüte?«
»Ich hab irgendwo eine stecken.« Meredith kramte eine zerknitterte Plastiktüte aus der Tasche ihrer Jeans. Wenn sie in Bethans Augen bereits auf dem Weg war, wie eine Stadtstreicherin auszusehen, dann konnte sie den Job auch ganz zu Ende bringen. Bethan war beim Ausgang, eindeutig in der Absicht, Meredith aufzulauern, und es gab keinen anderen Weg nach draußen.
»Brauchen Sie vielleicht eine Mitfahrgelegenheit nach Hause mit Ihrem Einkauf, Meredith? Oder sind Sie mit dem Wagen hier?« Ihre Stimme war kühl und freundlich. Keine Spur des unterschwelligen Temperaments, das nach der Gerichtsverhandlung durchgeblitzt war. Warum fragt sie nicht, dachte Meredith, ob ich überhaupt einen Wagen besitze?
»Es sind nur fünf Minuten von hier. Ich kann laufen, danke für das Angebot.« Die automatische Doppeltür glitt zischend auf, und die beiden Frauen traten nach draußen. Dies ließ einem Mann wenig Raum, der gerade durch die Tür ins Innere wollte und zusammenzuckte, als Merediths Plastiktüte mit den Konservendosen darin gegen sein Knie schlug.
»Ich kann Sie doch zu Hause absetzen, das ist überhaupt kein Problem, ehrlich nicht. Was für ein glücklicher Zufall übrigens, dass ich Sie ausgerechnet hier treffe«, fuhr Bethan fort. Der Mann mit dem getroffenen Knie sah aus, als dächte er ganz anders darüber.
»Warum?«, fragte Meredith nicht besonders freundlich, während sie sich zugleich bemühte, dem Mann mit dem Knie einen entschuldigenden Blick zuzuwerfen.
»Ich muss die ganze Zeit an die arme Sonia denken. Ich habe wirklich das Bedürfnis, mit jemandem über sie zu reden.« Bethans glatte, regelmäßige Gesichtszüge, eingerahmt von glatten Strähnen perfekt gepflegter Haare, die mit einem wasserfesten Make-up geschminkten Augen verharrten erwartungsvoll vor Meredith. Die beiden Frauen waren von ungefähr gleicher Größe. Ich sitze in der Falle, dachte Meredith und machte gute Miene zum bösen Spiel.
»Oh. Ich verstehe. Wenn das so ist, warum kommen Sie nicht mit zu mir und trinken eine Tasse Kaffee mit?«
»Haben Sie denn überhaupt so viel Zeit?« Das Zögern war falsch, aber elegant. Meredith war sicher, Bethan hätte sich selbst dann an ihre Fersen geheftet, wenn sie auf dem Weg in ein medizinisches Notfallzentrum wie ein geölter Blitz nach draußen gerannt wäre.
»Ja, natürlich. Ich habe Urlaub. Sie haben doch sicher gehört, wie ich es zu dem jungen Mann an der Kasse gesagt habe, oder?« Meredith verspürte an diesem Morgen keine Lust, alberne Spiele zu spielen, nicht einmal dann, wenn Bethan dies tat.
»Ja, stimmt. Hier entlang dann.« Bethan rauschte über den Vorplatz, und ihre Haare glänzten im Sonnenlicht wie ein Helm aus goldenem Feuer. Meredith trottete unbeholfen im Gefolge der makellosen Gestalt auf einen polierten Mercedes zu, während sie säuerlich dachte, dass das Steuerberatergewerbe guten Profit abzuwerfen schien. Sie ließ sich auf dem geräumigen Beifahrersitz nieder, und es gelang ihr
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