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In einer anderen Haut

In einer anderen Haut

Titel: In einer anderen Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alix Ohlin
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sich.
    «Mir ist kalt», sagte sie. «Mir ist heiß. Ich fühle mich beschissen. Mir tut alles weh. Ich habe Fieber.» Sie warf die Sätze gleichsam in die Luft, als erwartete sie, dass sie jemand auffing. Alan wollte nicht zur Arbeit gehen, doch Anne versicherte ihm, sie könne sich um Hilary kümmern, sie sei ohnehin den ganzen Tag zu Hause.
    «Ich schwitze so», sagte Hilary. «Meine Klamotten stinken. Mir ist schwindelig.»
    Halb aus schlechtem Gewissen, halb aus echtem Mitgefühl sagte Anne: «Vielleicht solltest du lieber in meinem Bett schlafen. Das ist bestimmt etwas bequemer.»
    Und so kam es, dass sie ihr Schlafzimmer aufgab und selbst auf die Couch zog.
    Wirklich, es war besser so. Während Hilary auf dem Bett lag wie ein gestrandeter Wal, erinnerte sie Anne zuweilen an ihre Mutter, die damals, während der schwierigen Zeit vor Annes Flucht von zu Hause, die meisten Wochenenden genauso verbracht hatte. Ihre Mutter stahl sich neuerdings immer öfter in ihre Gedanken – ihre Stimme, ihr Geruch, ihr schmales, flehentliches Lächeln, die Spiele,die sie in ihrer Kindheit zusammen gespielt hatten. Anne hätte niemals zugegeben, dass sie ihre Mutter vermisste; sie sagte sich, dass sie sich wahrscheinlich nur deshalb an diese Dinge erinnerte, weil sie so häufig mit Hilary zusammen war und sich fragte, was sie später wohl für eine Mutter sein würde.
    Nachdem Hilary in Annes Schlafzimmer übergesiedelt war, betrachtete sie es als ihr uneingeschränktes Königreich, ihr Seerosenblatt, als Insel für sich ganz allein. Jedes Mal, wenn Anne die Wohnung betrat, rief Hilary vom Bett aus nach ihr, meist schon, ehe sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. Wenn Anne dann im Türrahmen stand, erblickte sie Hilary, im Rücken von Kissen gestützt, den aufgeschlagenen, verkrumpelten
National Enquirer
neben sich, auf dem Nachttisch ein halb leerer Teller, das Bett übersät mit Verpackungen von Schokoriegeln und Papiertaschentüchern.
    «Anne? Kannst du mir ein bisschen Eiscreme bringen?»
    Damit sie fernsehen konnte, hatten sie den Apparat ins Schlafzimmer geschafft. Alan war ebenfalls dort eingezogen, schlief aber auf einer Matte auf dem Boden. Mit jedem Tag wurde Hilary kindlicher, unfähig, etwas selbst zu erledigen, dabei aber gleichzeitig immer fordernder und körperlich einschüchternder, eine kapriziöse Riesin, die bei Laune gehalten werden wollte.
    Anne brachte ihr einen Becher mit ihrem Lieblingseis, Schokolade mit bunten Streuseln. Hätte ihr jemand ein Jahr zuvor erzählt, dass sie einem fremden Mädchen in ihrer Wohnung Eiscreme kredenzen würde, hätte sie nicht mal darüber gelacht. Nun aber nahm ebendiese Fremde den Becher entgegen, ohne sich bei ihr zu bedanken, und deutete auf den Bildschirm, wo sich eine Sitcom-Familie am Küchentisch gegenseitig das Herz ausschüttete, bis das Konservengelächter verstummte und sich Zerknirschung und Scham in den Mienen der Kinder spiegelten.
    «O Gott, bin ich froh, dass ich so was nicht mitmachen muss.»
    Anne nickte. «Ich auch.»
    Der Erfolg kam, als er ihr immer weniger bedeutete und sie sicheigentlich gar nicht mehr dafür interessierte. Diese Einstellung verlieh ihr ein entspanntes Selbstvertrauen; die Fähigkeit, Risiken einzugehen, machte sie zu einer besseren Schauspielerin. Der Regisseur liebte ihr Spiel so sehr, dass er am liebsten an jedem einzelnen Abend gestorben wäre. Außerdem gab er ihr durch die Blume zu verstehen, dass er mit ihr schlafen wollte, was Anne zuvor als notwendiges Übel betrachtet hätte. Doch nun gab sie ihm einen Korb, und er schien ihr deswegen nicht böse zu sein, sondern machte ihr lediglich von Zeit zu Zeit neue Avancen, so wie auch einige andere aus der Truppe – was nur bestätigte, welchen Status sie sich erarbeitet hatte.
    Unablässig klingelte ihr Handy: Einladungen zum Vorsprechen, zu Workshops, zu Fotoshootings. Anscheinend stimmte, was sie einmal während einer Pause gehört hatte: Hatte man einmal den Dreh raus, lief alles wie am Schnürchen. Drei Agenten kontaktierten sie, zwei luden sie zu teuren Mittagessen ein. Sie ließ neue Porträtfotos von sich machen. Die Spielzeit ihres aktuellen Stücks wurde verlängert. Anne sonnte sich in ihrem Glanz, und jeden Abend gab sie sich, emotional nackt und ohne Angst, erneut ihrem Publikum hin. Und nachdem ihr nun alles gleichsam in den Schoß fiel, betrachtete sie die Anerkennung, um die sie monatelang so hart gekämpft hatte (da die Zeiten der Entbehrung Vergangenheit waren,

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