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In einer anderen Haut

In einer anderen Haut

Titel: In einer anderen Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alix Ohlin
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durch. Kümmere dich um deinen eigenen Kram.»
    «Wie denn? Solange
ihr
hier in
meiner
Wohnung haust?» «Und das gibt dir das Recht, uns herumzukommandieren? So zu tun, als wärst du was Besseres?»
    «Ach ja? Wovon redest du eigentlich?»
    «Blöde Spießerkuh», sagte er und wandte sich ab.
    Außer sich vor Wut, ergriff sie ihn am Arm und riss ihn herum. Sie sah ihm an, wie überrascht er über ihre Kraft war. «Wenn hier einer die Fresse hält, dann du», sagte sie. «Du bist nichts. Absolut
nichts.
Ohne mich wärt ihr am Arsch.»
    Als er seinen Arm wegzog, schrappten ihre Fingernägel über seine schweißfeuchte Haut. Ihr gefiel, was sie in seinen Augen sah. Er hatte Angst vor ihr.

    Dann kam der Mai; wehmütig hob sich die rosafarbene Blüte der Bäume gegen den fahlen Himmel ab. In den Parks verblassten die Vermisstenanzeigen, die Bilder der Gesuchten, inzwischen grau und ausgefranst an den Rändern. Die Köpfe alter, vertrockneter Blumen schwankten im Wind; Gefäße und Gläser, in denen sich einst Kerzen befunden hatten, lagen leer im Gras. In den Straßen häufte sich der Müll. Aber das Wetter war angenehm, und draußen vor den Cafés und Restaurants saßen die Leute, froh, wieder die Sonne auf den Gesichtern zu spüren.
    Annes Stück hatte Premiere, und sie war richtig gut; sie wusste es einfach. Es kamen kaum Besucher, größtenteils Studenten und Theater-Freaks, die sich sowieso alles ansahen, aber es waren genug. In zwei Wochenzeitungen erschienen Besprechungen, und ein Kritiker nannte ihren Auftritt «unwiderstehlich.» Sie schnitt die Kritiken aus und klebte sie neben den Flyer für die Aufführung in ein Album. So etwas hatte sie seit der Highschool nicht mehr getan.
    Sie schenkte Hilary und Alan Karten für eine Freitagsaufführung, und als sie nicht auftauchten, war sie wütender, als sie erwartet hätte. Sie hatte den beiden Ausreißern ihre Wohnung geopfert, und sie konnten sich nicht mal aufraffen, zwei Stunden Theater für sie durchzustehen? Und das Schlimmste daran war, dass sieihnen nicht einmal Vorhaltungen machen konnte, da die Basis ihrer Beziehung darin bestand, dass die beiden sie brauchten und nicht umgekehrt. Ihnen unter die Nase zu reiben, wie enttäuscht sie war, hätte bedeutet, das bisschen emotionale Oberhand zu verlieren, das sie noch besaß. Sie nahm an, dass Alan Hilary über ihren Zusammenstoß informiert hatte und sie deshalb nicht aufgetaucht waren.
    Als sie spätabends nach Hause kam, waren die beiden nicht da. Was mehr als ungewöhnlich war, da sie jeden Abend zusammen vor dem Fernseher verbrachten. Hatten sie sich womöglich mit der U-Bahn verfahren? Schließlich waren sie nur zwei Teenager vom Land. Nichtsdestotrotz hatten sie ihre Familien ohne ein Wort der Erklärung verlassen, und wahrscheinlich hatten ihre Eltern schweigend und mit offenem Mund dagestanden, so wie sie jetzt, während sie sich fragte, wo sie stecken mochten.
    Gegen drei Uhr morgens – sie hatte kein Auge zugetan – hörte sie, wie die Wohnungstür aufgeschlossen wurde. Als sie das Wohnzimmer betrat, erblickte sie Alan, der Hilary stützte und zum Sofa führte.
    «Was ist passiert? Alles okay mit euch?»
    «Sie hatte Fieber und musste sich dauernd übergeben», sagte Alan mit leiser Stimme. «Wir sind in die Notaufnahme gefahren. Wir hatten Angst, etwas könnte mit dem Baby sein.»
    «Und was haben die Ärzte gesagt?» Anne machte Licht in der Küche; im bläulichen Schimmer der Neonleuchte wirkte Hilarys Gesicht aschfahl, leichenblass.
    «Sieht so aus, als hätte sich Hilary eine Lebensmittelvergiftung eingefangen. Wahrscheinlich bei Panda Kitchen.»
    «Was sollen wir jetzt machen? Braucht sie Wasser? Oder soll ich lieber Ginger Ale kaufen?»
    Alan schüttelte den Kopf. «Sie haben sie für eine Weile an den Tropf gehängt. Sie will jetzt erst mal nur schlafen.»
    Was wohl ein Wink mit dem Zaunpfahl war, dass sie in Ruhegelassen werden wollten – jedenfalls verstand Anne es so. «Und mit dem Baby ist alles in Ordnung?», fragte sie.
    «Alles bestens, hat der Doc gesagt», erwiderte Alan. «Gesunde junge Mutter, gesundes kleines Baby.»
    «Okay.» An der Schlafzimmertür wandte sie sich noch einmal um. «Tut mir leid wegen neulich», sagte sie und wartete darauf, dass er einlenken würde, doch sie erntete nur Schweigen.

    Am nächsten Morgen sah Hilary immer noch nicht besser aus; ihr Teint war so wächsern wie Plastikobst. Sie wälzte sich auf dem Sofa herum und wickelte die Decke eng um

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