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In einer anderen Haut

In einer anderen Haut

Titel: In einer anderen Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alix Ohlin
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Island City ein besonders dankbares Publikum versammelt, das die Aufführung mit angehaltenem Atem verfolgte. Annes Dialoge und Gesten waren inzwischen Teil ihrer selbst geworden, eins mit ihr wie Muskeln und Sehnen. Sie musste sich nicht mehr konzentrieren, sich nicht mehr an irgendwelche Zeilen erinnern, befand sich in einem Zustand purer Energie, in dem sie sich einfach treiben ließ. Sie
war
Mariska, und es gab keine Grenze mehr zwischen ihr und der Figur, die sie darstellte. Es fühlte sich nicht mehr an, alswürde sie etwas spielen, vielmehr
lebte
sie es einfach. Während jener zwei Stunden vor ihrem Publikum war sie so glücklich wie nie zuvor, doch als alles vorüber war, schlug eine Woge der Ernüchterung über ihr zusammen. Es war, als hätte sie im Traum fliegen können, wirklich daran geglaubt – und wäre dann aufgewacht, nur um festzustellen, dass es nicht wirklich war und niemals Wirklichkeit werden würde.
    Es war eine lange Fahrt mit der U-Bahn, aber sie verschwendete kein Geld für ein Taxi oder einen Fahrservice. Sie hatte begonnen, Geld für das Baby zu sparen; sie wollte sichergehen, dass die Kleine etwas hatte, worauf sie später zurückgreifen konnte, falls sie vielleicht irgendwann von anderen Menschen im Stich gelassen wurde. Zu Hause angekommen, zog sie sich im Dunkeln leise aus, legte sich aufs Sofa und zog die Decke über sich. Die ganze Wohnung roch nach Pizzaresten. Sie seufzte. Wie auch immer, bald würde diese Phase vorüber sein und sie schließlich auch verstehen, was all das zu bedeuten hatte, welche Rolle Hilary und Alan in ihrem Leben einnahmen.
    Während sie dort lag, seltsam angespannt, drang ein leises Stöhnen an ihre Ohren. Sie setzte sich auf und lauschte. Noch ein Stöhnen, und dann hörte sie, wie das Bett knarrte. Alan gab ein ersticktes Geräusch von sich. Sie zog sich das Kissen über den Kopf und versuchte die beiden auszublenden, die Ausreißer, die Eindringlinge, die Kinder, die sich drüben liebten und bald selbst ein Kind haben würden.

    Ein Monat verging. Mittlerweile war Hochsommer, und draußen war es unerträglich schwül. Nach der endgültig letzten Aufführung ihres Stücks hielt sie sich wieder mit Teilzeitjobs über Wasser und versuchte ein wenig Geld beiseitezulegen. Während der Laufzeit desStücks hatte sie diverse Angebote erhalten, doch hatte sich wenig Konkretes ergeben. Sie entschied sich für ein Theaterprojekt mit einem angesehenen Experimentalregisseur, dessen Markenzeichen knochentrockene Dialoge und sackartige Kostüme waren; die Körper der Schauspieler spielten praktisch keine Rolle in seinen Inszenierungen. Sie hoffte, sich künstlerisch weiterentwickeln und ihren schauspielerischen Mut unter Beweis stellen zu können. Und so stand sie in kratzigem Sackleinen auf der Bühne im Keller einer Kirche vor einem Publikum, das aus gelangweilten Hipstern bestand, und murmelte Zeilen, die ihr beim besten Willen nicht einleuchten wollten. Da sie nicht mit ihrem Körper arbeiten konnte, wusste sie nicht, was sie tun sollte, und weil sie sich nicht eingestehen wollte, dass sie die ästhetische Agenda nicht verstand, wurstelte sie sich durch ihre Rolle, brachte den Regisseur gegen sich auf und kassierte vernichtende Kritiken. Mit einem Mal war es, als stünde sie wieder ganz am Anfang.
    «Sie sind hübsch», sagte die Agentin, für die sie sich entschieden hatte, bei einem Drink. «Ich bringe Sie in der Werbung unter. Da gibt’s ein neues Reinigungsmittel, das
perfekt
für Sie wäre.»
    «Ich will aber keine Werbespots machen», wandte Anne ein.
    Die Agentin zuckte mit den Schultern. «Ich könnte auch versuchen, Sie bei
Law & Order
reinzubringen.»
    «Okay, aber ich will auch etwas Seriöses machen. Etwas Bedeutendes.»
    Die Agentin zog die Augenbrauen hoch. «Sie sind hübsch», wiederholte sie. «Konzentrieren Sie sich auf Ihre Stärken.»
    Eine Woche später rief die Agentin an, um ihr zu sagen, dass sie ihr ein Engagement beim Sommertheater in Southampton besorgt hatte. «Es ist nicht gerade Williamstown, aber dafür liegt der Strand gleich vor der Haustür.»
    Das Stück war okay. Die Zuschauer, alles Urlauber, waren meist schon ein bisschen angetrunken, wollten Spaß haben, applaudierten Anne frenetisch und luden sie hinterher zu Drinks an der Barein. Sie hatte sich ein Zimmer bei ein paar jungen Anwälten gemietet, die jeden Abend schwer abfeierten, und schlief mit Stöpseln in den Ohren. Wenn sie frühmorgens am Strand joggte, sah sie sich

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