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In einer anderen Haut

In einer anderen Haut

Titel: In einer anderen Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alix Ohlin
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erinnerte sich an die Geschichte aus seinerKindheit, über jenen Jugendfreund, der dauernd von Bäumen, Zügen und Gebäuden gesprungen war. Zu jenem Zeitpunkt hatte sie geglaubt, es sei lediglich eine Anekdote über jemanden, der nicht alle Tassen im Schrank hatte. Nun aber wurde ihr bewusst, dass die Geschichte für Tug eine ganz andere Bedeutungsebene besaß. Für ihn war es ein Rätsel. Ein Wunder.
    Und obwohl er um fünf Uhr morgens zurückkam, sich entschuldigte, zu ihr ins Bett kroch und versprach, ihr alles zu erzählen, begriff sie, dass er auf seinen ehemaligen Freund nicht herabsah, sondern ihn einfach nur darum beneidete, wie egal ihm Leben und Tod gewesen waren. Wahrscheinlich hätte er sich seinem Freund nur allzu gern angeschlossen, dachte sie. Für ihn wäre es ebenfalls das Größte gewesen, ins Ungewisse zu springen, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ob er sich dabei das Genick brechen könnte.

    Als sie am nächsten Abend von der Arbeit kam, schenkte er ihr und sich zwei große Gläser Rotwein ein und begann zu erzählen. Er erzählte bis Mitternacht und hielt nur inne, um ihnen nachzuschenken oder die nächste Flasche zu entkorken. Der Wein schien ihm die Zunge zu lösen; davon abgesehen benötigte er keinen Ansporn, nicht einmal ein zustimmendes Murmeln. Und so saß sie einfach nur da und hörte zu.

8
Kigali, 1994
    Es war die schönste Landschaft, die Tug je gesehen hatte. Und er gehörte nicht zu den Menschen, die schon während der Kindheit von Afrika geträumt und sich in Dschungelmontur auf Safari gesehen hatten – obwohl viele Nordamerikaner und Europäer in seinem Umfeld in genau solchen Fantasien schwelgten. Manche versuchten, ihre Begeisterung mit Zynismus zu kaschieren. Andere machten keinen Hehl aus ihrer Faszination, ihrem Faible für die bewegte und komplexe Geschichte Afrikas und ihrem lang gehegten Wunsch, den Kontinent und seine Bewohner kennenzulernen (wobei es den Männern vorrangig um schwarze Frauen ging). Entwicklungshelfer hingegen waren unverbesserliche Romantiker, auch wenn sie es niemals zugegeben hätten, hin und her gerissen zwischen Idealismus und Pragmatismus.
    Monate später fragte ihn eine Frau, die für das Rote Kreuz arbeitete, ob er die Nacht mit ihr verbringen wolle; sie waren beide verschwitzt, betrunken und schrecklich einsam. Als sie um drei Uhr morgens nackt nebeneinanderlagen, gestand sie ihm, dass sie als kleines Mädchen für Dian Fossey geschwärmt hatte.
    «Ich habe immer von den Gorillas im Nebel geträumt», sagte sie lächelnd. «Gleich in der ersten Wochen habe ich sie gesehen. Und jetzt bin ich schon zwei Jahre hier.» Dafür, dass sie eine durchtrainierte ehemalige Hockeyspielerin war, erwies sie sich als erstaunlichanhänglich und sentimental. Nichts sei ihr je so wichtig gewesen wie diese Gorillas, sagte sie. Tug hatte den Eindruck – aber das bildete er sich vielleicht auch nur ein –, dass sie so etwas nach dem Sex immer erzählte, eine kleine Extrageschichte, um das Ganze nicht allzu abrupt enden zu lassen. Obwohl er eigentlich gern mehr über die Gorillas gehört hätte, wollte er sich nicht näher mit ihr einlassen. Und sie hatte seine Skepsis zweifellos gespürt: Am nächsten Morgen ließ ihn die Gorillafrau, wie er sie später in Gedanken zu nennen pflegte, links liegen und tat so, als sei nichts zwischen ihnen passiert.
    Für Tug war Ruanda eine echte Überraschung. Zuletzt war er in Guatemala gewesen; sechs Monate hatte er Familien im Departamento Suchitepéquez mit Lebensmitteln und Medikamenten versorgt, nachdem die Region von Überschwemmungen und Erdrutschen heimgesucht worden war. Er hatte sich an das Land gewöhnt, fand die Menschen sympathisch und beherrschte die Sprache bestens. Eigentlich wollte er gar nicht weg, doch dann war sein Vater schwer krank geworden; deshalb war er gezwungen gewesen, in die Heimat zurückzukehren. Er blieb zwei Jahre, während sein Vater wieder und wieder ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Seine Mutter war zu gebrechlich, um sich um ihn zu kümmern, und seine Schwester, die mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Toronto lebte, hatte ihm unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie diese Last weder auf sich nehmen konnte noch wollte.
    Zu dieser Zeit lernte er Marcie kennen, die als Assistentin für den Anwalt seiner Eltern tätig war. Sie war blond, hübsch und überaus tüchtig, was Alltagsdinge anging. Tug kannte sich damit aus, Zelte aufzubauen und Ambulanzen zu

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