In einer Familie
Bewegung.
»Du hast es zu leicht gehabt mich zu überreden.
Und dann, wer in Vergessenheit und Leichtsinn
Wunden geschlagen hat, ist selbst der Allernächste
dazu, sie zu verbinden – wenn er nicht eintretenden
Falles Mörder heißen will.«
Die letzten, hart und grausam gesprochenen
Worte machten die junge Frau zusammenfahren, die
sich dichter an den Mann schmiegte, als drängte sie
ihn ängstlich, diese Selbstanklage zurückzunehmen.
Als er sich aber zu ihr wandte, schlug sie dennoch
den Blick nieder und bot ihm so die Hand zu einem
Druck voll Verständnis und Zärtlichkeit.
So war die anfängliche Stimmung, die alsbald der
Bearbeitung des Lebens unterworfen wurde. Dieses
aber verfährt so seltsam eigenmächtig mit allen un-
sern Eindrücken und Erlebnissen, von denen es die
kleinsten in der Erinnerung wachsen und an Reiz
oder Schrecken gewinnen lassen kann, während es
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den großen stets etwas von ihrer Macht nimmt und
sie zuweilen fast unwirksam macht. Unter der fort-
währenden Reibung des Alltagslebens zog sich die
Erinnerung der Schuld aus den Gedanken und dem
täglichen Bewußtsein zurück, um auf dem Seelen-
grunde liegen zu bleiben, von dem sie endlich selbst
nur noch einen Teil ausmachte. Und da es kein
Glück ohne Reue geben kann, so diente dieser leise,
leise Zusatz von Bitternis dazu, ihre Liebe vor dem
faden Geschmack der Gewohnheit zu bewahren, sie
zu befestigen: Doras Opfer war nicht unfruchtbar
geblieben.
Der Sommer ist voll raschen, vollen Lebens ver-
strichen. Auf häufigen Ausflügen, auf’s Land und in
den Wald, am liebsten auf Ruderfahrten, haben die
Glücklichen jedem Element, jeder Landschaft die
eigentümliche Stimmung abgelauscht, welche sie für
Liebende bereit halten, froh, der ganzen Natur ihre
Liebe mitzuteilen und das Echo von ihr zurückzuer-
halten. Nun sitzen sie gern an schönen Herbstaben-
den auf der Terrasse ihres Hauses, wenn beim Un-
tergange der Sonne, die von dem Wasser drunten am
Abhange des Gartens mit einem bezaubernden
Glanz von vergoldetem Violett Abschied nimmt,
tausend Blumen dem Licht und der Wärme, die sie
belebt haben, duftende Grüße nachsenden. Dann
und wann ein leises Rauschen in den Zweigen, von
denen sich ein paar gebräunte Blätter lösen, um lang-
sam zu Boden zu rascheln, macht die Luft nur noch
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stiller, den Abend friedlicher. Die beiden Menschen
lieben mehr als je diesen Frieden, da sie seit wenigen
Tagen wissen, daß sie nicht mehr al ein sind in ihrem
Bunde. Es ist, als habe dieser erst jetzt, da er gerei-
nigt und erneuert ist, gesegnet werden sollen. Wenn
sie es wagen, die große Stille zu unterbrechen, so
thun sie es, um von ihrem Kinde zu sprechen, »von
unserm Jungen«, denn sie wünschen Beide, Anna
fast inniger als ihr Gatte, daß es ein Knabe sein
möge. Mit dem zuversichtlichen Blick auf die Zu-
kunft, der außer Verliebten nur jungen Eltern eignet,
setzen sie sich bereits über ihre Erziehungsgrund-
sätze auseinander.
»Ich überlasse ihn ganz Dir« sagt Wellkamp. »An
dem, was Du aus ihm machst, werde ich mich auf al e
Fälle erfreuen können. Das wird der beste Dienst
sein, den ich unserm Jungen erweisen kann.«
»Du willst ihn zum Muttersöhnchen machen?«
wendet Anna lächelnd ein.
»Du brauchst es nicht eben so zu nennen. Der
weibliche Einfluß, der mir gefehlt hat, ist ganz allein
im stande, in der ersten Jugend das Gewissen zarter,
die Ehrfurcht größer, den Geschmack feiner zu ma-
chen. Ich meine, daß gegen solche Wirkungen alle
etwaigen Nachteile unbedeutend erscheinen müs-
sen.«
»Weißt Du, was ich einleuchtend fände? Wenn es
Dir gleicht, so habe ich seine hauptsächliche Leitung
zu übernehmen; ist er dagegen mir ähnlich, so liefere
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ich ihn ohne Umstände Dir aus. So erreichen wir
vielleicht eine natürliche Ergänzung seiner Anla-
gen.«
Wellkamp hat indes seinen Gedanken festgehal-
ten.
»Hältst Du es für möglich« fragte er nachdenk-
lich, »daß nach uns eine Generation von Männern
käme, die wieder einfacher, lebensfreudiger und in
einem Glauben besser gegründet wären als wir heu-
tigen?«
Anna nickte ihm zu.
»Du sagst mir, daß ihr Alle die Sehnsucht nach
dem Glauben kennt. Das ist augenscheinlich die
letzte Spur von dem, was schon eure Großväter zu
verlieren begannen. Aber sollte es nicht zugleich die
beste Vorbereitung sein, daß eure Söhne und Enkel
es wiederfinden? Denn die geistige Bewegung
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