In einer heißen Sommernacht
die gerne reden, nicht wirklich viel zu sagen haben.«
Seine Verharmlosung von Sollys Behinderung war fast schwerer zu ertragen als die neugierigen Blicke von Fremden. Ella traten unvermittelt Tränen in die Augen. Vielleicht hatte er es bemerkt und wollte ihr weitere Peinlichkeiten ersparen, denn er sagte nichts weiter, sondern tippte nur an seine Hutkrempe, bevor er sich umwandte und ging.
4
Bruder Calvin Taylor entpuppte sich als ein Geschenk des Himmels und nicht nur als ein Geschenk der African Methodist Episcopal Church.
Der Prediger war ein großer und kräftiger Mann Ende zwanzig, mit einem einnehmenden Wesen und einem breiten Lächeln, das dank eines goldenen Schneidezahns noch mehr strahlte. Ella fragte sich, ob der Goldzahn die Zuhörer ablenkte, wenn er predigte, ähnlich wie eine pendelnde Taschenuhr mit einem hypnotisierenden Effekt.
Aber kaum hatte sie seine Stimme vernommen, wurde ihr klar, dass sicher kaum etwas seine Gemeinde davon ablenken konnte, seinen göttlich inspirierten Worten zu lauschen. Es war die Stimme eines Propheten, deren Bässe dröhnten wie ein Gewitter über den Hügeln. Ella malte sich aus, wie seine Stimme in der Kirche widerhallte, während sie die dösenden, schreckhaften Sünder aufrüttelte und die Gläubigen mit neuer Hoffnung erfüllte.
In der Tat übte Bruder Calvin einen guten Einfluss auf die Gemeinde aus. Als Margaret ihn Ella in aller Form vorstellte, fügte sie stolz hinzu, dass die Anzahl der Kirchenbesucher sich verdreifacht hatte, seit er auf der Kanzel stand.
» Und in der Sonntagsmesse bleibt keine Bank leer.«
Der Prediger antwortete auf dieses Lob mit angemessener Bescheidenheit, indem er seinen Erfolg Gott zuschrieb. » Der Herr segnet uns auf die wunderbarsten Arten.«
Ella fand ihn sofort sympathisch und gab ihm direkt die erste Aufgabe, auch wenn die Dunne-Schwestern vielleicht in Ohnmacht fallen würden, wenn ihnen ein schwarzer Mann im Haus begegnete. Ella teilte ihre Vorurteile nicht. Sie dachte an den Tag zurück, als ihr zum ersten Mal bewusst wurde, dass es eine schreckliche Ungerechtigkeit zwischen den Rassen gab.
Ihr Vater hatte sie ins Filmtheater eingeladen, und sie wollte in den oberen Rängen sitzen. Daraufhin hatte er ihr erklärt, dass diese Plätze für Farbige reserviert waren. Sie hatte damals protestiert und gesagt, das wäre nicht fair. Sie hatte es als eine persönliche Ungerechtigkeit empfunden, ihren Platz nicht frei wählen zu können. Aber ihr Vater hatte sie missverstanden und lächelnd den Arm um ihre Schulter gelegt. » Stimmt, Ella, das ist nicht fair. Das ist alles andere als fair. Ich bin stolz, dass du das so siehst.«
Sie war ohne Vorurteile aufgewachsen, folglich hatte sie keine. Doch als sie älter wurde, erkannte sie allmählich, dass ihre Haltung zu anderen Hautfarben von den meisten Menschen nicht geteilt wurde.
Bruder Calvin stellte schnell unter Beweis, dass er nicht nur gut reden konnte. Bis zum Ende des Tages war der Boden in dem leeren Zimmer geschrubbt und gewachst. » Ich kann auch gleich noch den Flur mitmachen, wenn ich schon dabei bin«, hatte er gesagt. Auch die Dielen im Flur polierte er auf Hochglanz.
Zur Abendbrotzeit richtete Ella dem Prediger einen Teller in der Küche und bediente die Dunne-Schwestern im Esszimmer. Sie hörte, dass er ein Dankgebet vor dem Essen sprach. Nachdem er seine Mahlzeit beendet hatte, holte er die Bettwäsche aus dem Garten, die den ganzen Nachmittag draußen gelüftet worden war, und brachte sie nach oben in das Zimmer, das Mr Rainwater beziehen würde.
Bevor Bruder Calvin aufbrach, versicherte er Ella, früh am nächsten Morgen wiederzukommen, um Margaret bei den restlichen Arbeiten zu helfen, die erledigt werden mussten, bevor der neue Gast einziehen konnte. » Bis um vier wird das Zimmer blitzsauber sein. Das verspreche ich.«
Er hielt sein Versprechen. Alle Arbeiten wurden zu Ellas Zufriedenheit verrichtet. Dennoch bezog sie das Bett selbst. In diesem Punkt war sie nicht nur eigen, sondern sie erfreute sich auch an dem Duft der Wäsche nach frischer Luft und Sonne.
Mr Rainwater erschien zur verabredeten Zeit. Die Dunne-Schwestern waren zur Leihbücherei gegangen, die aus einem umfunktionierten Lieferwagen bestand, der alle zwei Wochen nachmittags nach Gilead kam. Margaret bügelte in der Küche und hatte nebenbei ein Auge auf Solly. Mr Hastings war noch nicht wieder in der Stadt.
Abgesehen von der Großvateruhr im vorderen Salon, die viermal leise schlug,
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