Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
Rädern des Entsetzens. Jetzt trompetete sie mit ihrer durchdringenden Altfrauenstimme: »Hilfe! Polizei! MOOOORD!«
    Die Frauen an der Ecke von Willow und Ford Street nahmen es nicht zur Kenntnis. Wilmas war neben dem Stoppschild zusammengesackt, und als Nettie auf sie zutaumelte, richtete sie sich an dem Pfosten in eine sitzende Position auf und hielt das Messer nach oben gerichtet im Schoß.
    »Komm nur heran, du Biest«, fauchte sie. »Komm nur heran.«
    Nettie kam, ihr Mund arbeitete. Der Klumpen Gedärm schwang vor ihrem Kleid hin und her wie ein mißgestalteter Fetus. Ihr rechter Fuß stieß gegen Wilmas ausgestreckten linken Fuß, und sie fiel vorwärts. Das Tranchiermesser durchbohrte sie direkt unter dem Brustbein. Sie stöhnte durch einen Mund voll Blut, hob das Beil und ließ es niederfahren. Mit einem dumpfen Laut grub es sich tief in Wilmas Schädel. Wilma begann zu zucken, ihr Körper bäumte sich unter dem von Nettie auf. Jedes Aufbäumen trieb das Tranchiermesser tiefer hinein.
    »Hast – mein – Hündchen - umgebracht«, keuchte Nettie und spie mit jedem Wort einen feinen Nebel aus Blut in Wilmas Gesicht. Dann erschauerte sie am ganzen Körper und erschlaffte. Ihr Kopf fiel vorwärts und schlug gegen den Pfosten des Stoppschildes.
    Wilmas zuckender Fuß glitt in den Rinnstein. Ihr guter, schwarzer Kirchgangsschuh flog davon und landete in einem Haufen Laub; der flache Absatz zeigte zu den dahinjagenden Wolken empor. Ihre Zehen beugten sich einmal – noch einmal – dann entspannten sie sich.
    Die beiden Frauen lagen da, übereinander wie Liebende, und ihr Blut färbte die zimtfarbenen Blätter im Rinnstein.
    »MOOOOOORD!« trompetete die alte Frau auf der anderen Straßenseite noch einmal; dann taumelte sie rückwärts und fiel ohnmächtig der Länge nach in ihre eigene Diele.
    Jetzt kamen auch andere Leute in der Nachbarschaft an die Fenster, sie öffneten Türen, fragten sich gegenseitig, was passiert war, traten auf Vortreppen und Rasen heraus, näherten sich zuerst vorsichtig der Szene und wichen dann mit vor den Mund gehaltenen Händen schleunigst zurück, nachdem sie nicht nur gesehen hatten, was passiert war, sondern auch das ganze, grausige Ausmaß.
    Schließlich rief irgend jemand das Büro des Sheriffs an.

18
     
    Polly Chalmers ging langsam die Main Street hinauf auf Needful Things zu, die schmerzenden Hände in ihren wärmsten Handschuhen, als sie die erste Polizeisirene hörte. Sie blieb stehen und beobachtete, wie einer der drei braunen Plymouth-Streifenwagen des Countys mit wirbelndem Blaulicht über die Kreuzung Main und Laurel Street jagte. Er fuhr schon jetzt fast achtzig und beschleunigte noch weiter. Dicht dahinter folgte ein zweiter Streifenwagen.
    Sie sah ihnen stirmrunzelnd nach, bis sie außer Sicht waren. Sirenen und Blaulicht waren eine Seltenheit in Castle Rock. Sie fragte sich, was passiert sein mochte – vermutlich etwas Ernsteres als eine Katze, die sich auf einem Baum verstiegen hatte. Alan würde es ihr erzählen, wenn er am Abend anrief.
    Polly schaute wieder die Main Street hinauf und sah Leland Gaunt an der Tür seines Ladens stehen; auch er sah den Streifenwagen nach, und auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck leichter Neugierde. Nun, das beantwortete eine Frage: er war da. Nettie war nicht wieder erschienen, um ihr Bescheid zu sagen. Das hatte Polly nicht sonderlich überrascht; die Oberfläche von Netties Verstand war glitschig, und die Dinge hatten eine Art, einfach von ihm abzurutschen.
    Sie ging weiter. Mr. Gaunt sah sich um und entdeckte sie.
    »Mrs. Chalmers! Wie schön, daß Sie kommen konnten!«
    Sie lächelte matt. Die Schmerzen, die am Vormittag eine Weile nachgelassen hatte, kamen jetzt zurückgekrochen und bohrten ihr Netzwerk aus dünnen, grausamen Drähten durch das Fleisch ihrer Hände. »Ich dachte, wir hätten uns auf Polly geeinigt.«
    »Also dann Polly. Kommen Sie herein -ich freue mich, Sie zu sehen. Was hat diese Aufregung zu bedeuten?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte sie. Er hielt ihr die Tür auf, und sie betrat hinter ihm den Laden. »Ich nehme an, jemand ist verletzt und muß ins Krankenhaus gebracht werden. Die Ambulanz in Norway ist am Wochenende immer fürchterlich langsam...«
    Mr. Gaunt machte die Tür hinter ihnen zu. Das Glöckchen bimmelte. Die Jalousie an der Tür war heruntergezogen, und das Innere von Needful Things war jetzt, da die Sonne in die andere Richtung wanderte, ziemlich düster, aber Polly dachte, wenn Düsternis

Weitere Kostenlose Bücher